Hat Kevin Kühnert im ZDF bei Lanz aus guten Gründen ordentlich die Meinung gegeigt: Luisa Neubauer. Youtube

Klima im Wahlkampf: Neubauer und Kühnert bei Lanz

In der Woche vor der Bundestagswahl strahlte das ZDF eine Diskussion aus, deren Höhepunkt ein Schlagabtausch zwischen dem SPD-Kader Kevin Kühnert und der Klimaaktivistin Luisa Neubauer war. Wer ihn verpasst hat, kann ihn hier noch einmal ansehen:

Luisa Neubauer verweist sehr energisch auf die Dringlichkeit der Klimakrise und auf das Versagen der Politik. Denn die hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft, Wege für den Einstieg in eine klimagerechte Gesellschaft zu schaffen. Dass Kühnert, der in dieser Runde die etablierten Parteien vertritt, diesen Zustand als eine Art Sachzwang begreift, ist das eine. Dass er die Notwendigkeit, die Breite der notwendigen Veränderungen zu betonen, der Klimaaktivistin überlässt, ist hingegen schon fast eine Unverschämtheit.

Trotz allem bleibt die Argumentation von Neubauer an einer zentralen Stelle hinter ihren Möglichkeiten zurück. Denn warum die Politik in dieser Sache auf ganzer Linie versagt, kann auch sie nicht erklären. Was ihr daher bleibt, ist die (für sich durchaus richtige) moralische Anklage gegen die GroKo. Sie fordert ebenfalls durchaus zurecht, einen fundamentalen Wandel der Selbstverständlichkeiten ein. Erklärt ist damit allerdings noch nichts.

Um zu verstehen, warum die Politik vor den anstehenden Transformationen kapituliert, müssen wir den Blick auf die Grundkonstitution der kapitalistischen Warenproduktion (und Warenproduktion ist immer kapitalistisch!) werfen. Denn diese Gesellschaft ist in ihrem Kern darauf programmiert, aus Geld mehr Geld zu machen. Und dieses abstrakt-gesellschaftliche Ziel verträgt sich nur schwer mit sinnlich-stofflichen Notwendigkeiten wie der Rettung der menschlichen Lebensbedingungen. Diese simple Schranke allen politischen Handelns ist offensichtlich und wird in jedem Interview offensichtlich. Der Bruch mit den herrschenden Zuständen wird unumgänglich sein – aber bei den gesellschaftspolitischen Akteur*innen herrscht noch immer der Irrglaube vor, auf den vertrauten Pfaden weiterwandeln zu können.

2 Kommentare

  1. Hallo Insu,
    vielen Dank für deine Anmerkung.
    Ich halte moralische Anklagen gegen die GroKo (oder auch gegen andere potentielle Regierungskonstellationen) tatsächlich für wichtig. Denn schließlich gehen die Leute mit ihrer Politik ja über Leichen – und das sollte schon auch mal benannt werden.
    Was die Sache des „Versagens“ angeht, so möchte ich eine grundsätzlich andere Perspektive vorschlagen. Das die Klimakrise mit den Mitteln von Markt und Staat nicht aufzuhalten ist (weil die ihrem Wesen nach nicht auf die Lösung solcher sinnlich-stofflicher Herausforderungen programmiert sind) ist ja durchaus richtig.
    Ebenfalls richtig scheint mir doch aber zu sein, dass die Protagonist:innen (nicht nur) der großen Parteien das anders sehen. Sie stellen sich täglich hin und sagen: „Yo, wir kriegen das hin. Mit Markt und Staat kommen wir aus dem Schlamassel raus!“.
    Insofern gibt es ein selbstgesetztes politisches Ziel: Die Leute behaupten, sie könnten das Problem lösen. Sie machen ein gesellschaftliches Versprechen (das ihnen scheinbar auch von erkläglichen Mehrheiten „abgekauft“ wird).
    Was ich in diesem Text (oder auch in dem zu Baerbock) nun mache, ist nichts weiter als dieses Versprechen zu überprüfen. Das Ergebnis (funktioniert nicht) mag dich nicht überraschen. Und tatsächlich kommt es ja auch nicht aus dem Nichts (es ist also nicht bloß Missmanagement), sondern hat systemische Ursachen. Nichtsdestotrotz bleibt es aber m.E. wichtig und sinnvoll, diesen argumentativen Schritt immer wieder zu gehen und zu zeigen, dass die Lösungsversuche innerhalb der kapitalistischen Logik nicht funktionieren. Denn dieses permanente Scheitern macht die Notwendigkeit eines „system change“ erst offensichtlich.
    Was es daran zu kritisieren gibt, ist mir allerdings weniger offensichtlich.

  2. „Denn warum die Politik in dieser Sache auf ganzer Linie versagt, kann auch sie nicht erklären. Was ihr daher bleibt, ist die (für sich durchaus richtige) moralische Anklage gegen die GroKo. Sie fordert ebenfalls durchaus zurecht, einen fundamentalen Wandel der Selbstverständlichkeiten ein.“

    Dass Neubauer Unzufriedenheit mit der Umweltzerstörung, die die Unternehmen verursacht haben, ausdrückt, ist natürlich vernünftig. Jedoch hält Cider die „moralische Anklage gegen die GroKo“ für „durchaus richtig“. (Unabhängig nun davon, ob Cider das Folgende so gemeint hat, will ich diese Position aufgreifen:) Die Auffassung, die Politik hätte in Sachen Klimaschutz „versagt“, und deshalb wäre eine Forderung an den Staat angebracht, er solle vorhandene „Selbstverständlichkeiten“ wandeln, ist aber sehr problematisch und falsch. Erstens hat die Politik in ihrem Zweck in Sachen Klimaschutz nicht „versagt“, sondern folgt ihren eigenen Berechnungen. Zweitens ist es eine Staatsillusion, ausgerechnet die Instanz moralisch anzuklagen – und zum Wandel in Richtung des Ideals zu bewegen, das Umweltschützer im Kopf haben –, die eben genau nicht dieses Ideal befolgt, sondern ihre eigenen „Selbstverständlichkeiten“ zum Zweck hat. Damit wird genau die Instanz, die den Schaden als Sachzwang zu verantworten bzw. kalkuliert durchgehen lassen hat, als Ansprechpartner vorgestellt. Das ist eine Illusion, eine falsche Erwartung, die immer wieder zu den bekannten Enttäuschungen führen wird – die bei Umweltfreunden regelmäßig zu abenteuerlichen Demos führt, wofür sie offensichtlich immerzu Grund haben und sich nie Zufriedenheit einstellt. Der Politiker Kühnert verweist hier richtig auf einen „Sachzwang“, Politik ist eben realistisch und folgt ihren eigenen Zwecken. Deshalb sollte man doch die Zwecke erst einmal begreifen, bevor man dem Staat gute Intentionen unterstellt.

    Im Artikel über Baerbock verweist Cider selbst auf den Zusammenhang: „Denn tatsächlich gehören Markt und Staat gar nicht zwei Universen an, sondern sind beide Teil eines „Systems“, ob man es nun Marktwirtschaft nennt oder Kapitalismus. Dieses System braucht notwendigerweise die Instanz, die allgemeinverbindliche Rahmenregelungen setzt und Selbstverständlichkeiten garantiert. […]
    Und anvisierte Veränderung [sic!] fällt dann auch dementsprechend gering aus: nur was sich bequem mit den Anforderungen von Markt und Staat verbinden lässt, kommt als Lösung für die Klimakrise in Frage.“ (https://disposabletimes.org/2021/07/baerbock-jetzt-analyse/)

    Der Staat organisiert den Kapitalismus als seine Reichtumsbasis, aus der er seine materielle Macht zehrt. Dementsprechend muss „Wachstum“ sein, das ist seine Räson. Aber einfach nur das Privatinteresse der Unternehmen zu unterstützen, das würde die Natur ziemlich schnell ruinieren, die das Kapital für die Produktion nutzen muss. Deshalb wägt der Staat ab: Damit der entwickelte Kapitalismus auch langfristig funktioniert, muss der Staat ein gewisses Maß an Umweltschutz durchsetzen, auch wenn das die Plusmacherei in Maßen einschränkt. Zwischen diesen beiden Gütern wägt der Staat immer wieder ab – Kapitalwachstum vs. die Natur als langfristige Wirtschafts- und Lebensgrundlage – und begibt sich dabei natürlich in Widersprüche. Ein Optimum der Abwägung ist nicht möglich, da die jeweiligen Unkosten für die Folgewirkungen durch Umweltschäden meist nicht konkret bestimmbar sind. Deshalb bewegt sich die (Umwelt-)Politik in einem gewissen Rahmen, den man entsprechend als „Sachzwang“ oder „Realismus“ bezeichnen kann – auch wenn diese Begriffe ebenso zur Rechtfertigung bestimmter politischer Maßnahmen instrumentalisiert werden.

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