Friedenstaube

Bye, bye, Pazifismus?

Dass Krieg eine ziemlich blöde Sache ist, darauf können wir uns vermutlich schnell einigen. Und dass eine Welt anzustreben wären, in der Kriege nicht systemisch nahegelegt sind, vermutlich ebenfalls. Doch nun, da der Krieg angesichts des Überfalls des russischen Militärs auf die Ukraine auch geographisch nähergerückt ist, fragen sich viele, wie sie es eigentlich mit dem Pazifismus halten.

Ich schlage vor, in der Frage nach dem Pazifismus die Fragestellung zu verändern. Denn die passt genau genommen nicht so richtig zu der Situation, in der wir uns befinden.

Keine akademische Frage

Oft wird die Diskussion um den Pazifismus geführt, als fände sie in einem politikwissenschaftlichen Seminar oder im Sachkunde- oder Politikunterricht in der Mittelstufe statt.

Die Konstellation wird dann in etwa wie folgt aufgebaut: Stellen wir uns mal vor, da ist das faschistische Nazideutschland auf der einen und auf der anderen Seite sind wir. Wollen wir uns dann, angesichts der drohenden faschistischen Gefahr, gegen den Feind wappnen und bis an die Zähne bewaffnen – oder wollen wir lieber freiwillig in den Faschismus übersiedeln?

Die Antwort kann in diesem Fall nur unbefriedigend sein. Denn selbstverständlich gibt es gute Gründe, sich in einer solchen Situation zu bewaffnen. Das Problem ist nur: Das ist nicht die Situation, vor der wir heute stehen. Die heutige Situation, in der nun auch die Debatte um Aufrüstung und eine Steigerung der Militärausgaben geführt wird, findet in einer konkreten historischen Situation statt. Und diese Situation hat sowohl einen Entstehungsprozess als auch einen weltpolitischen und global-ökonomischen Kontext, den fallenzulassen fatal wäre. Darum führt die abstrakte Frage „Wie hältst du’s mit dem Pazifismus?“ nicht weiter.

Bewegungspolitischer Rückblick

In der Internationalismus- und Friedensbewegung in den 1970er und 1980er-Jahren wurde die Diskussion um den Pazifismus ebenfalls sehr ausgiebig geführt. Damals war die Position der linken, kapitalismuskritischen Kräfte oftmals ebenfalls mit einer Verschiebung der Fragestellung verbunden. 

Die bevorzugte Antwort war dann meist: „Wir sind gegen Angriffskriege. Wir sind Anti-Militarist:innen“. Gegen Angriffskriege zu sein machte deutlich, dass Krieg als Mittel zur Konfliktlösung keine gute Idee ist. Dass es aber durchaus gute Gründe gibt, sich in der einen oder der anderen Situation gegen einen Angriff von Außen zu verteidigen. Diesen Umstand als etwas qualitativ anderes einzustufen als die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist klug und lenkt den Schwerpunkt der Diskussion hin zu der konkreten politischen Situation und weg von allgemeinen, moralischen Fragestellungen.

Sich gegen Krieg und Herrschaft zu wehren, konnte in dieser Perspektive durchaus legitim sein. Das schloss dann auch durchaus Kampagnen ein, bei denen Widerstandskämpfe etwa in lateinamerikanischen Ländern unterstützt wurden. Ein bekanntes, fast schon klischeehaftes Beispiel dafür war die Kampagne „Waffen für Nicaragua“. Das muss man im Nachhinein nicht mehr alles gut finden – aber es macht deutlich, wo eine Grenzen zwischen „Pazifismus“ und „Antimilitarismus“ verlaufen könnte.

Neue Kriege

Die klassische, akademische Pazifismus-Diskussion geht zudem von einer veralteten Vorstellung vom Krieg aus. Sie imaginiert den Krieg als ein genau erfassbares, territorial und zeitlich begrenztes Phänomen, bei dem mit militärischen Waffen territoriale Gewinne erzielt werden. 

Dabei ist diese Art der Kriegsführung schon heute gar nicht mehr die erfolgversprechendste Art, Kriege zu führen und zu gewinnen. Sicherlich hat Putin sich für den klassischen Weg entschieden, aber auch die russische Regierung hatte bereits am zweiten Kriegstag mit Cyber-Attacken zu kämpfen. Der Angriff auf die digitale Infrastruktur kann die Organisation eines Staates erschweren, er kann die Energieversorgung bedrohen, Geheiminformationen zu Tage fördern und weite Teile des öffentlichen, des privaten und des militärischen Lebens lahmlegen.

Ähnliches gilt für Angriffe auf die globalen Warenströme und die Versorgungswege der gegnerischen Kriegspartei. In einer derart vernetzten Ökonomie sind diese hochgradig anfällig. Das haben wir bereits im Zuge der Corona-Pandemie erleben dürfen und Angriffe dieser Art, die im klassischen Verständnis eher an Terrorismus erinnern können auch ohne das Vorrücken von Panzern auf NATO-Mitgliedsländer eine enorme Bedrohung für die Lebensqualität und die Versorgungssicherheit der Menschen darstellen.

In diesem Sinne müssen wir uns auf eine historisch neue Form einstellen, wie solche Kriege geführt werden. Und da können wir festhalten, dass Deutschland, die EU und auch die übrigen NATO-Mitglieder denkbar schlecht aufgestellt sind. Statt über Aufrüstung zu diskutieren, sollte die Bundesregierung lieber den Umstieg auf erneuerbare Energien beschleunigen (um nicht länger vom russischen Gas abhängig zu sein), die digitale Infrastruktur verbessern und sichern sowie die ohnehin klimaschädlichen Warentransporte durch eine schrittweise Dekommodifizierung der Ökonomie verringern.

Das wäre sogar realpolitisch für eine bürgerliche Regierung argumentierbar. Zu rechnen ist damit freilich nicht.

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