Doofe Predigt, aber leckeres Essen: Dönerladen neben der DITIB-Moschee in Göttingen Foto: Disposable Times

DITIB & der fehlende Antifaschismus

In Göttingen musste der Vorsitzende des Ortsverbandes der DITIB-Gemeinde zurücktreten. Er hatte antisemitische und rassistische Postings über die sozialen Medien verbreitet. Der Fall und der Umgang mit ihm wirft ein trauriges Licht auf eine Praxis des Antifaschismus in dieser Gesellschaft.

Die Rolle der DITIB in Deutschland

Schon oft gab es in den letzten Jahren eine aufgeregte Berichterstattung rund um die DITIB. DITIB ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion. Der Verein gilt als größte islamische Organisation in Deutschland und spielt deshalb in den Bemühungen der Bundesregierung um „Integration“ bzw. einen interreligiösen Dialog immer wieder eine große Rolle. Denn der Verein ist eng an die Diyanet gebunden, das Amt für religiöse Angelegenheiten in der Türkei. So sind die Prediger (ja, nur Männer) des religiösen Vereins bislang in der Türkei ausgebildet worden. Erst 2020 wurde das erste Ausbildungsprogramm in Deutschland eröffnet.

An der grundsätzlichen Verquickung mit dem Erdogan-Regime ändert das freilich nichts. Denn die gerade in Ausbildung befindlichen Imame haben nicht nur zuvor in der Türkei ein Theologie-Studium abgeschlossen, sondern werden hinterher auch weiterhin vom türkischen Staat bezahlt. Schon seit langem ist bekannt, dass die Prediger in Deutschland Gläubige aus ihren Gemeinden ausspionieren und die Informationen mit dem türkischen Geheimdienst teilen.

Neben der beträchtlichen Förderung aus der Türkei gab es für die DITIB zudem bis vor kurzem auch eine recht anständige Finanzierung vonseiten der Bundesregierung. Noch 2017 wurden 1,47 Millionen Euro an die DITIB und ihre diversen Unterorganisationen gezahlt. Nach diversen Skandalen wurden die Zuschüsse dann auf etwa ein Fünftel gekürzt.

Aus den Reihen der DITIB wurde bereits vor dieser Kürzung mit der Gründung von Jugendverbänden begonnen (der Bundesverband Bund der Muslimischen Jugend (BDMJ) ist 2014 gegründet worden). In einigen Bundesländern sind diese Jugendverbände bereits insofern anerkannt, als sie in dem offiziellen Zusammenschluss der anerkannten Jugendverbände, den Landesjugendring, aufgenommen wurden. Damit stärkt die DITIB ihre Rolle sowohl innerhalb des interreligiösen Diskurses als vermeintliches Sprachrohr aller Muslime als auch innerhalb der muslimischen Community.

Hier ist der Einfluss der DITIB tatsächlich nicht zu unterschätzen. Es ist dabei nicht nur so, dass viele Moscheen faktisch von der Diyanet aus betrieben und mit einer teils konservativen, teils islamistischen Ausrichtung auf die Gläubigen einwirken. Durch ihre finanziellen Mittel und die unhinterfragte Konzentration der Politik auf den größten Islamverband üben sie zudem eine nicht zu unterschätzende kulturelle Deutungshoheit innerhalb der Community aus. Die gelegentliche Zusammenarbeit mit den Grauen Wölfen, einer offen faschistischen Organisation aus der Türkei (1|2), macht die Sache dann nicht besser. Immer wieder gibt es von hochrangigen Mitgliedern des Vereins antisemitische oder rassistische Äußerungen, in denen zum Hass auf Jüd*innen aufgerufen oder der Völkermord an den Armenier*innen geleugnet wird.

Der Fall Mustafa Keskin

Exemplarisch für diese Verstrickungen ist der Fall Mustafa Keskin. Der Göttinger Keskin galt lange Jahre als Aushängeschild des interreligiösen Diskurses und der kommunalen Integrationsbemühungen. Er war Vorsitzender des DITIB-Ortsvereins und hat in den sozialen Medien antisemitische und rassitische Hetze betrieben. Das hat in der lokalen Politik allerdings niemanden gekümmert. Erst als ein linker Jugendverband, die „Falken“, sich einmal genauer angesehen hat, was Mitglieder der DITIB-Vorstände so treiben, wurden diese Vorgänge publik. In einer Pressemitteilung hat der Verband bereits am 5. Februar, also vor über einem Monat, auf die politische Haltung von Keskin hingewiesen. Dort lesen wir die folgende Zusammenfassung der Recherche:

Keskins aktuelles WhatsApp-Profil zeigt ein Bild, das Donald Trump und Joe Biden als „alte“ bzw. „neue“ Marionette der Investmentbanker und im Bild als „Puppet Master“ bezeichneten Jacob Rothschild darstellt. Die Familie Rothschild fungiert in antisemitischen Verschwörungsmythen und Weltbildern seit langer Zeit als Platzhalter für „die Juden“, die über die Finanzmärkte die Regierungen und die Welt beherrschen würden.

Auf einer seiner Facebook-Seite finden sich seit 2013 weitere antisemitische und antiisraelische Posts und Bilder. In einem persönlichen Post werden israelische Soldaten etwa als „jüdische Hunde“ bezeichnet, andere Bilder und Posts suggerieren, dass Juden und Israelis gezielt Kinder töten würden. Darüber hinaus verwendet Keskin wiederholt Erkennungszeichen der islamistischen Muslimbruderschaft. Auch gegenüber Armeniern und Kurden äußert sich Keskin abfällig. Das Ganze vermengt sich mit einem türkisch-nationalistischen Grundtenor und einem positiven Bezug auf ein Groß-Osmanentum. Eine zusätzlich bedrohliche Note bekommt das Ganze dadurch, dass Keskin eine Zeitlang eine Beretta mit Munition als Profilbild nutzte.

Falken Göttingen: Vorsitzender der Göttinger Ditib-Gemeindeverbreitet antisemitische Verschwörungsmythen und Hassbotschaften

Das Meinungsrepertoire von Keskin umfasst das gesamte Spektrum des modernen Antisemitismus. Der Bezug auf die Rothschild-Familie etwa stammt von Honoré de Balzac, einem christlich-französischen Schriftsteller. Balzac hatte 1838 begonnen, antisemitische Mythen um die Familie zu weben. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden diese Mythen unter anderem in dem offen antisemitischen Propaganda-Film Die Rothschilds erbreitet. Seitdem gilt die Chiffre Rothschild als Synonym für den Zionismus. Sie ist bis heute ein zentraler Teil des modernen Antisemitismus und erfreut sich im deutschsprachigen Raum nach wie vor großer Beliebtheit. Die Darstellung von amerikanischen Präsidenten, die vom Zionismus gelenkt werden (und so scheinbar im unmittelbaren Dienste Israels stehen), spielt auf eine andere gängige Chiffre des modernen Antisemitismus an.

Der Vorwurf einer gezielten Tötung von Kindern durch Jüd*innen geht auf die Ritualmordlegende zurück, die bereits im 12. Jahrhundert im europäischen Raum virulent war und ein zentrales Moment des traditionellen Antijudaismus bildete. Diese verquickt sich in der Ideologie von Keskin mit der Vorstellung eines allmächtigen großtürkischen Reiches und dem damit verbundenen Nationalismus. Auch dieser ist ein Kind der europäischen Aufklärung (1|2|3|4).

Denn die Nation ist eine ganz und gar moderne Idee, die sich zunächst in England und Frankreich herausbildete. Die verspätete, „sekundäre“ Nationalstaatsbildung in Deutschland gab dabei das Muster für die weitere Entwicklung vor. Sie grenzte sich einerseits von den Entwicklungen in Frankreich und England ab, indem sie eine spezifisch deutsche Nationalkultur erfand. Sie kopierte aber im selben Zug zentrale Momente der hegemonialen Nationalismen in und versuchte dadurch ihnen nachzueifern. Dieser Doppelcharakter des Nationalismus (der in der Ablehnung und Nachahmung der französischen und britischen Aufklärung besteht) hat sich seitdem in vielen Weltregionen wiederholt.

Daher ist es auch kein Wunder, dass der türkische Nationalismus diesen Prämissen folgt – bis hin zum Rassismus gegen Kurd*innen und Armenier*innen (im letzteren Fall gibt es zudem Verbindungslinien zum modernen Antisemitismus).

Auch das, was wir heute als originär „türkische Kultur“ missverstehen, hat hier seine Wurzeln. Und das gilt im Übrigen auch für viele gängige Vorstellungen davon, was den vermeintlichen Kern „des Islam“ ausmachen soll. Denn auch die sind ideologiekritisch betrachtet nur eine Wiederholung der Vorstellungen des Nationalismus. Und die weist ihrerseits mehr als deutliche Parallelen zum aggressiven und ausgrenzenden Nationalismus europäischer Prägung auf. Insofern wird der Islamismus auch immer wieder Zielscheibe zu einer Kritik aus antifaschistischer Perspektive.

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