Zu Beginn des Krieges in der Ukraine berichteten wir über den Begriff des Imperialismus und stellten in Frage, ob dieser sich eignet, die Rolle Russlands angemessen zu charakterisieren. Ungefähr vier Monate später bestätigt sich der Eindruck, dass der russische Angriff nur schwer als imperialistischer Angriff bezeichnet werden kann.
Die Berichte häufen sich, dass Russland, ähnlich wie in Tschetschenien, gezielt Infrastruktur und Städte angreift. Statt der Nutzbarmachung des Landes für den Kapitalismus und dem Aufbau einer Industrie, wie im imperialen Zeitalter Ende des 19. Jahrhunderts, wird die Ukraine dem Erdboden gleich gemacht. So berichtet die Jungle World:
Ein Ende der Blockade im Tausch für die Lockerung der Sanktionen – ein Berater der ukrainischen Regierung sprach daraufhin von einer »Erpressung« der Welt: Russland wolle nicht nur das ökonomische Potential der Ukraine zerstören, sondern über die Nahrungskrise auch Druck auf die westlichen Staaten ausüben. (…)
Schätzungen zufolge wird das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine in diesem Jahr um fast die Hälfte einbrechen. Das setzt auch die westlichen Staaten unter Druck, die den ukrainischen Staat mit Finanzhilfen und Krediten in Milliardenhöhe stützen müssen. Anfang der Woche trafen sich 40 Länder zu einer internationalen Konferenz in Zürich, auf der über den Wiederaufbau des Landes beraten wurde. Wie die FAZ berichtete, schätzt die ukrainische Regierung, dass allein für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur 750 Milliarden US-Dollar nötig sein könn
Jungle World 2022/27
Die Herangehensweise der russischen Armee zeigt, dass die Industrie und die Rohstoffe von sekundärer Bedeutung sind. Würde Russland die Ukraine tatsächlich einnehmen, was das ursprüngliche Ziel war, würde sie sich selbst ins Bein schießen, wenn sie das Land wieder aufbauen wollte. Somit ist die Ukraine aus wirtschaftlicher Sicht eine Last und kein Gewinn, sowohl für die Nato-Staaten, als auch für Russland. Eine Veränderung, die auch Robert Kurz 2003 in seinem Buch „Weltordnungskrieg“ erkannte:
Wo die große Masse der „Hände“ kapitalistische überflüssig unbrauchbar geworden ist, kann die „Aneignung“ von Territorien und ihren Bevölkerungen nicht einmal mehr in den gierigsten Träumen eine Option zusätzlicher Akkumulationschancen eröffnen; territoriale Annexionen machen in der kapitalistischen Logik endgültig keinen Sinn mehr und könnten von vornherein nur noch eine Last statt ein Gewinn sein.
Weltordnungskrieg, S.35
Trotzdem ist die Situation, wie sie Kurz hier darstellt heutzutage nicht so eindeutig. Mit den sich verschärfenden Dürren aufgrund der Veränderung des globalen Klimas wird es in Zukunft höchstwahrscheinlich zu Kämpfen um lebensnotwendige Ressourcen kommen. Die aktuelle Krise ist vorrangig noch kein Symptom eines Mangels an Lebensmitteln, sie ist vor allem eine Folge von Spekulation an der Börse als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine und der damit einhergehenden Blockade der Transportwege:
Die Preissteigerungen resultieren also nicht aus realem Mangel, sondern werden vielmehr von den Terminbörsen angetrieben, deren Anleger durch Vereinbarungen über zukünftige Rohstofflieferungen, sogenannte futures, auf kommende Entwicklungen spekulieren. Eingepreist werden hier, neben zu erwartenden weiteren militärischen Auseinandersetzungen, zunehmend auch bedrohliche ökologische und soziale Entwicklungen.
Jungle World 2022/27
Viele Länder, beispielsweise, in Nordafrika sind stark abhängig von Lebensmittelimporten, sie leiden besonders unter den steigenden Preisen, welche vom Staat subventioniert werden müssen. Das bringt die sowieso schon klammen Staatskassen in Staaten, die sich nicht selbst versorgen können, immer tiefer in die Bredouille.
Mit der sich weiter zuspitzenden Klimakrise könnte es jedoch schon bald nicht nur aufgrund der Preise, sondern auch aufgrund mangelnder Lebensmittel (aufgrund von Dürren) zu politischen oder kriegerischen Auseinandersetzungen um die jeweiligen Ressourcen kommen. Hier könnten territoriale Eroberungen oder Einflusszonen wieder interessant werden.