Eigentum schützen heißt nicht selten, unsere Mit- und Umwelt zu zerstören. Kathrin Henneberger

Was wir in Lützerath über das Eigentum lernen können

Lange Zeit wurde das Dorf Lützerath von Aktivist:innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung bewohnt. Nun ist das Dorf (fast vollständig) gewaltsam von der Polizei geräumt worden. Die politische Verantwortung dafür tragen nicht zuletzt grüne Politiker:innen, die vor einigen Monaten noch selber an Veranstaltungen in Lützerath teilgenommen haben. Wie konnte es dazu kommen? 

Eigentum als Stützpfeiler dieser Gesellschaft 

Wir leben in einer Eigentumsgesellschaft. Eigentum ist ein zentrales Konzept, um das herum unsere Wirtschaft und viele weitere Teile unseres gesellschaftlichen Lebens aufgebaut sind. Dabei bedeutet “Eigentum” etwas anderes als die simple Tatsache, dass Menschen etwas nutzen dürfen. Modernes Eigentum ist eine ganz besondere Institution. Die Sozialphilosophin Eva von Redecker fasst in diesem Video sehr anschaulich zusammen, was mit Eigentum gemeint ist: 

Formen des Eigentums – Eva von Redecker – Teil 1 

Was durch die Eigentumsform passiert, ist dies: die Welt um uns herum wird zerpflückt und zerteilt sie in unterschiedliche “Rechtstitel”. Als solche können die Dinge der Welt von ihren Eigentümer:innen beherrscht werden. Wir können sie benutzen. Wir können sie aber auch erweitern oder umwandeln, wir können sie sogar zerstören. Eigentum bedeutet das Recht auf die volle Verfügung über eine Sache. Eine Verfügung, die grundsätzlich auch die Zerstörung einer Sache umfasst. 

Eigentum gibt es in modernen Gesellschaften aber nicht nur an beweglichen Dingen, sondern auch an Land. “Grundstücke” nennen wir die Landstriche, die in privates Eigentum überführt worden sind. Die Grundstücke in dem kleinen Dorf Lützerath gehörten einer Reihe von Familien und wurden zum Teil seit langer Zeit für landwirtschaftlichen Betrieb genutzt. Die ehemaligen Bewohner:innen haben ihr Eigentum irgendwann (oft nach starkem ökonomischem und politischem Druck) an RWE übertragen. Warum? Weil von Seiten der Regierung beschlossen wurde, dass die Kohlevorräte unterhalb der Erdoberfläche von dem Energiekonzern RWE abgebaut werden dürfen, um sie zu Geld zu machen. 

Eine solche Enteignung ist selten und an hohe rechtliche Hürden gebunden, in Ausnahmefällen aber möglich. So war das auch in diesem Fall und so wurde aus den bisherigen Höfen ein Betriebsgelände der RWE. Und RWE darf nun mit seinem neuen Eigentum das tun, was es gerne damit tun möchte. Die Firma darf die 55 Meter tiefe Kohleschicht abbaggern und alles, was sich oberhalb der Erdoberfläche befindet, zerstören. Sie darf das nicht obwohl, sondern gerade weil das Stück Land ihr Eigentum ist. 

Zerstörung und Exklusion 

Dabei ist es dann auch völlig egal, ob dabei etwas zerstört wird. Die Zerstörung ist ja gerade ein ganz zentraler Bestandteil der Eigentumskonzeption. Und auch der Schaden, der dadurch an anderen Stellen entsteht, tut diesem Recht keinen Abbruch. Dass mit der geförderten Kohle Energie produziert und unfassbare Mengen an Schadstoffen in die Atmosphäre gelangen, spielt keine Rolle.  

Die Schäden tauchen in der Rechnung von RWE nicht auf. Sie werden ausgelagert – oder, wie der Soziologe Stephan Lessenich sagt: Sie werden externalisiert. Derartiges passiert in der Realität moderner Gesellschaften andauernd. Schadstoffe werden im Globalen Norden ausgestoßen, die Schäden an Natur und Umwelt machen sich aber in erster Linie im Globalen Süden bemerkbar. Zunehmender Wüstenbildung und untergehende Inseln sind (nicht nur, aber vor allem) ein Phänomen der weltgesellschaftlichen Peripherie. 

Darum lassen sich die Folgen der Eigentumsgesellschaft für die Menschen in den Zentren auch so gut verdrängen. Es sieht so aus, als hätten Entscheidungen wie die zur Räumung des kleinen Dorfes keine unmittelbaren Auswirkungen. Das ist aber nur der Fall, weil wir das Leben und die Lebensverhältnisse der Menschen in anderen Teilen der Welt letztlich als nicht so wichtig erachten. Wir blenden sie aus. Auch das ist ein Teil der Externalisierungsgesellschaft.  

Der Aktivist Tadzio Müller hat versucht, den systematischen Charakter dieser Verdrängungsleistung als “Verdrängungsgesellschaft” zu umschreiben. Auch das ist ein sehr treffender Begriff. Er macht deutlich macht, dass die Eigentumsgesellschaft nicht nur eine Externalisierungdimension hat. Sie hat auch eine Verdrängungsdimension. 

Die Externalisierungsdimension beschreibt, wie die Eigentumsgesellschaft die Probleme, die sie erzeugt, nach außen verlagert und damit anderen (oft unsichtbaren) Menschen aufbürdet. Die Verdrängungsdimension beschreibt, wie die Menschen diese Mechanismen zu verdrängen und auszublenden erlernt haben. 

Der enge Zusammenhang von Eigentum, Zerstörung, Exklusion und Verdrängung wird durch die Prozesse in Lützerath einmal mehr offensichtlich. Es wird Zeit, dass wir diese Prinzipien radikal kritisieren und in Frage stellen. 

Ein Kommentar

  1. In bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsphasen waren auch Menschen Eigentum von anderen Menschen. Diese Rechtsauffassung wurde durch gesellschaftliche Anschauungen und Kämpfe zum Teil überwunden. Das gibt Hoffnung, dass auch das Eigentum an besonderen Sachen, z. B. Produktionsmitteln, für höhere Nutzen in der Gesellschaft überwunden werden kann.

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