Verzichtsethik schreckt die Menschen ab. Dabei müssten wir auf gar nichts verzichten, wenn wir nur auf den Kapitalismus verzichten würden. Das macht auch ein Blick auf die aktuelle Dimension des Artensterbens und deren Folgen deutlich.
Viele Handlungsansätze, die einen Umgang mit der Klimakrise finden wollen, versuchen Lösungen innerhalb der herrschenden Konsum- und vor allem Produktionsweise zu finden. Hinweise, dass das möglicherweise nicht ausreichend sein könnte, werden schnell abgetan. Besser wenig tun als gar nichts, ist dann das Motto. Und überhaupt schrecke die Verzichtsethik, die mit einer Kritik der herrschenden Wirtschaftsweise verbunden sei, die Menschen ab. Dabei ist es doch eher die bislang vorherrschende ökonomische Logik, die uns heute einen weitgehenden Verzicht auf Möglichkeiten aufbürdet, die wir früher noch gehabt hätten. Am Beispiel „Artensterben“ wird dies deutlich, wie wir bei Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg nachlesen können:
Heute gehören 66 Prozent der landwirtschaftlich produzierten Nahrungspflanzen zu nur neun Arten (Zuckerrohr, Mais, Reis, Weizen, Kartoffel, Sojabohne, Ölpalmfrüchte, Zuckerrübe und Maniok), wobei 60 Prozent unserer Nahrung aus Mais, Weizen und Reis produziert wird. Auch in unserer Tierhaltung geht es nicht vielfältiger zu. Nur etwa 40 Nutztierarten werden weltweit gehalten, wobei gerade mal eine Handvoll (Schweine, Rinder/ Kühe, Schafe, Ziegen und Hühner) für den Großteil der Produktion von Fleisch, Milch und Eiern sorgt.
Und von diesen wenigen Arten an Pflanzen und Tieren nutzen wir wiederum nur einen winzigen Ausschnitt ihrer genetischen Vielfalt – mit fallender Tendenz. So werden von den bis 1949 in China angebauten 10.000 Weizensorten heute nur noch rund 1000 verwendet und in den USA nur noch 5 Prozent der noch im Jahr 1900 genutzten Apfelsorten. Insgesamt gingen weltweit in nur einem Jahrhundert (zwischen 1900 und 2000) etwa 75 Prozent der Nahrungsmittelvielfalt verloren.
Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg: Was hat die Mücke je für uns getan?, S. 59
Diese Entwicklung ist fatal. Denn sie schränkt die Genussmöglichkeiten der Menschheit ein. Gleichzeitig werden die wenigen verbleibenden Obst-Sorten aber global verteilt und mit hohem energetischen Aufwand in allen Teilen der Welt zur Verfügung gestellt. Das erscheint als Erweiterung der Produktpalette, ist aber nur eine Auswirkung eben des Mechanismus, der zuvor für die Verknappung der nutzbaren Sorten verantwortlich war (und noch immer ist): das Profitmotiv der kapitalistischen Ökonomie.
Gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise könnte sich diese Entwicklung übrigens als fatal erweisen. Denn die klimatischen Verschiebungen sorgen auch für die Verbreitung von Krankheiten und Krankheitserregern in Gebieten, in denen sie bislang kaum vorkamen. Wenn diese Vermehrung auf der einen Seite auf eine abnehmende Artenvielfalt auf der anderen Seite trifft, dann kann das auch ganz schnell mal zu Problemen führen. Denn wenn eine der wenigen verbleibenden Sorten von einem passenden Krankheitserreger befallen wird, dann steht die Versorgung mit Nahrungsmitteln schneller auf der Kippe als wir wahrhaben möchten:
Das könnte katastrophal enden, wenn man bedenkt, dass Krankheiten auftreten könnten, die das Potenzial haben, gerade diese wenigen Arten mit ihren wenigen Sorten und Rassen zu dezimieren oder gar auszumerzen. Aus der Luft gegriffen ist ein solches Szenario nicht: So starben zwischen 1845 und 1849 etwa 12 Prozent der Menschen in Irland an Unterernährung, weil ein Pilz genau die eine Kartoffelsorte befiel, von deren Ernährung die Menschen dort massiv abhängig waren. Auch wenn wir heute schneller und effektiver auf solche Krankheitsausbrüche reagieren könnten, wäre der Ausbruch einer Reis- oder Weizenkrankheit immer noch eine Katastrophe globalen Ausmaßes .
Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg: Was hat die Mücke je für uns getan?, S. 59f.
Klingt abstrakt? Gerade angesichts der Corona-Krise sollte uns eigentlich bewusst werden, dass derartige Szenarien kein Science Fiction mehr sind…