Der eine oder die andere war überrascht ob der (trotz Niederlage) doch unerwartet starken Wahlperformance von Donald Trump. Trotz des schlechten Managements der US-Regierung während der Corona-Krise, die laut offiziellen Angaben bereits über 220.000 Menschen in den USA das Leben gekostet hat, haben sich erstaunlich viele Wähler*innen (und nicht zuletzt solche, die durch Trumps Politik selbst eher in Gefahr geraten als Vorteile erlangen) gefunden, die auch 2020 auf den bisherigen US-Präsidenten setzen wollten. Die Ursachen dafür liegen in der Tiefenpsychologie kapitalistischer Gesellschaften verborgen.
Die Anforderungen, die die moderne kapitalistische Gesellschaft an das Leben der Menschen stellt, ist mit ständigem Leistungdruck und der gängigen Erfahrung, den gesetzten Ansprüchen nicht zu genügen, verbunden. Das ist nichts Neues, doch bereits seit einigen Jahrzehnten können wir uns nicht einmal mehr mit dem Versprechen trösten, das irgendwann alles besser werden würden. Die Vorstellung, wenigstens die eigenen Kinder würden es mal besser haben, war bis in die 1980er-Jahre noch weit verbreitet. Heute ist sie dem seltsamen Gefühl gewichen bereits froh sein zu können, wenn der Nachwuchs die Karriereleiter nicht wieder herunterpurzelt. Das Gefühl, sich gegen die Fahrtrichtung auf der Rolltreppe behaupten zu müssen um nach oben zu kommen, hat sich in den Ländern des Globalen Nordens verallgemeinert.
Dieses oftmals zwar diffuse, aber stets präsente Krisenbewusstsein prägt das Leben der spätkapitalistischen Individuen. Das sie dabei von enormen Reichtümern umgeben sind, ändert daran wenig. Es ist, wie es der Sozialphilosoph Herbert Marcuse vor langer Zeit formulierte, eine „Gesellschaft der Hölle im Überfluss“. In dieser Situation machen die Menschen nicht zuletzt die Erfahrung, den (gesellschaftlichen) Verhältnissen ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Falls sie ihren Arbeitsplatz nicht bereits verloren haben, so scheint die Kündigung doch jederzeit möglich. Alternativen sind rar gesät und werden mit weniger Gehalt und weniger Sozialprestige entgolten.
In dieser Situation muss die Vorstellung, das eigene Leben im Griff zu haben, zwangsläufig leiden. Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und zum Objekt einer selbstzweckhaften ökonomischen Dynamik zu werden, wird allgegenwärtig. In dieser Situation bieten Politikerinnen wie Donald Trump zwar keine Lösung, aber zumindest doch eine Phantomlösung an: imaginierte Handlungsfähigkeit. Diese besteht nicht zuletzt darin, das Trump seine Anhängerinnen an verlorene Besitzstände erinnert und sie auffordert, diese erneut zu realisieren. Dereinst gehörte es zur Verfügungsgewalt des amerikanischen Mannes, über die Gebärfähigkeit der Frauen verfügen zu dürfen. Sprüche von Trump über „pussy grabbing“ erinnern an diese verlorengegangene Handlungsfähigkeit.
Die Philosophin Eva von Redecker nennt dieses Phänomen „Phantombesitz“. Aller rechtlichen Emanzipation zum Trotz versucht Donald als alter weißer Mann alte (und für ihn noch immer legitime) Besitzstände einzufordern. Das gilt auch für die harten Gesten gegen die illegale Migration: Hier sagen wir „denen“, wo sie hingehören und wo nicht. Wir verfügen über ihre Aufenthaltsrechte und stecken sie in die Schubladen, die wir für sie vorgesehen haben. Besonders beliebt ist Trump entsprechend auch bei der US Border Patrol, die diese Anflüge von Handlungsmacht im Namen des Präsidenten umsetzen darf. Deutlich weniger angesehen ist Trump hingegen bei der Army, deren Tote er zu oft nachträglich als „Looser“ diffamiert hat. Auch das Beharren am Fracking lässt sich vor diesem Hintergrund als Versuch dechiffrieren, die Handlungsfähigkeiten bei der Naturnutzung nicht aufzugeben, sondern bis hin zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen auszukosten.
Die rechte Reaktion auf die sich zuspitzende ökonomische Entwicklung verweist dabei auf keinerlei funktionstüchtiges Gesellschaftsmodell. Sie begnügt sich mit der Anrufung imaginärer Verfügungsgewalt und der Herstellung von Phantombesitz. Es wird sich zeigen, was die Linke dem entgegenzusetzen hat.