Bild: Twitter

Im Stau zu stehen ist eben auch keine Freiheit

In Social-Media-Kanälen macht gerade ein Bild die Runde. Unten sehen wir eine mit einem zweireihigen Pkw-Korso im Stau verstopfte Straße. Oben sehen wir einen autofreien Straßenzug, am rechten Rand ist eine Reihe Autos geparkt. Das untere Bild verbreitet Hektik und und Stress, das obere erinnert an einen Ostersonntag. Über dem oberen Bild steht „Ideologische Verbote“, auf dem unteren „Freiheit“, jeweils in Anführungszeichen als Hinweis auf die Besetzung der beiden im Bild dargestellten Szenarien im öffentlichen Diskurs.

Hier eine Variante des Bildes, in diesem Falle gepostet von Jan Böhmermann, auf Twitter:

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Das Bild verweist auf einen wichtigen Aspekt der aktuellen Debatte rund um Fragen von „Freiheit“, „Verantwortung“, „Individuum“, „Staat“ und „Klimakrise“. Einen anderen, mindestens ebenso wichtigen Aspekt macht es allerdings unsichtbar.

Was das Bild sichtbar macht

In den diskursiven Blasen von Wirtschaftsliberalen ist das, was auf dem unteren Bild passiert, ja wirklich „Freiheit“. Und gleichzeitig ist es ein gutes symbolisches Abbild der vorherrschenden Verkehrspolitik:

Alle Menschen entscheiden sich alleine an ihrem Küchentisch für ein Fortbewegungsmittel. Dann steigen alle in ihr Auto und stehen alle gemeinsam im Stau. Super Plan. Nein halt. Gar kein Plan. Der Witz dieser Freiheit besteht ja gerade darin, dass alle einfach machen, was sie wollen – auch auf die Gefahr hin, sich dabei gegenseitig an der Ausübung ihrer Freiheit (hier die Mobilität) zu behindern.

Die Straßen werden einseitig für einen einzigen Zweck zur Verfügung gestellt: Möglichst schnell mit dem Auto von A nach B zu kommen. Alle anderen Nutzungsmöglichkeiten (z.B. die Nutzung als Ort des Zusammenkommens für die Nachbarschaft, als Ort des Spielens für Kinder, als Ort zum Spazierengehen oder Radfahren, als Ort zum Begrünen der Stadt und dergleichen mehr) werden ohnehin durch die eine bevorzugte Nutzungsart zurückgeschnitten. Und am Ende funktioniert nicht mal die vernünftig.

Das ist sehr offensichtlich unvernünftig. Es wäre viel klüger, die Straße nicht nur für vielfältige Nutzungen „frei“ zu machen. Es wäre auch notwendig, sich dafür auf eine gemeinsame Nutzung der Straße zu einigen, bevor alle (vereinzelt und getrennt von den anderen) die Entscheidung treffen, wie sie es denn individuell handhaben wollen.

Das Bild repräsentiert auf diese Weise den Widerspruch von Demokratie und Markt. Denn dem geschulten Neoliberalen gilt jede gesellschaftliche Absprache (Demokratie) als Frevel an der Funktionstüchtigkeit des Marktes und damit als Eingriff in die individuelle Handlungsfreiheit der vereinzelten Autofahrer*innen. Auch wenn die derweil im Stau stehen.

Worüber das Bild schweigt

Die neoliberalen Agitator*innen haben ja an einem Punkt recht: Gesetze und Verordnungen sind ja tatsächlich von oben aufgeherrschte Regeln, denen die Menschen sich unterwerfen sollen. Das hat mit Freiheit nicht viel zu tun. Die Überlegung, dass Straßenzüge oder gar Städte für die Menschen dasein sollen (und nicht für Mobilität als Selbstzweck oder zum Warenverkauf) kann sich im Kapitalismus nur in Form von Gesetzen und Verordnungen Gehör verschaffen.

Deshalb trifft die neoliberale Avantgarde auch immer etwas Richtiges, wenn sie auf gesellschaftliche Regeln als „Verbote“ schimpft. Das, was in den Parlamenten passiert, hat ja wirklich sehr wenig mit sinnvollen inhaltlichen Verabredungen zum Zusammenleben zu tun.

Das liegt aber nicht daran, dass solche Verabredungen nicht möglich wären. Es liegt daran, dass sie sich im Kapitalismus nur auf eine spezifische Art organisieren lassen. Denn hier werden solche Regeln als Gesetze oder Verordnungen von einem Parlament oder einer Verwaltung in die Welt gesetzt. Diese regeln von oben, was von nun an für alle allgemein verbindlich gilt. Sie hantieren also tatsächlich mit Ge- und Verboten. Jedes Straßenschild ist ein solches Ge- bzw. Verbot (Da wundert es auch nicht, dass Neoliberale seinerzeit sogar gegen die Einführung der Anschnallpflicht waren. Der Grund: Durch das erhöhte Sicherheitsgefühl sei nicht auszuschließen, dass die Leute unvorsichtiger Fahren und die Zahl der Verkehrstoten steige. Es kam dann allerdings anders – wie so oft).

Hinter diesem offensichtlichen Charakter als Zwangsinstrument des Staates verblasst der Charakter einer allgemeinen gesellschaftlichen Verabredung, der „Verkehrsregeln“ ja zumindest vom Grundsatz her auch zukommen könnte. Nur dass diese Verabredung durch Parlamente und Verwaltungen vom gesellschaftlichen Leben abgetrennt sind und in einen vom Rest der Gesellschaft unabhängigen Bereich ausgelagert werden (ganz ähnlich, wie das ja auch mit der Wirtschaft passiert, die dann unabhängig vom Rest der Welt „Sachzwänge“ produziert, die es ohne sie gar nicht gäbe).

Solche gemeinsamen Verabredungen unterwandern die Vereinzelung, mit der wir uns in der kapitalistischen Welt begegnen. Sie machen deutlich, dass wir die Welt nach unserem Dafürhalten einrichten könnten, wenn wir denn wollten. Das Meme hingegen tut ein wenig so, als wäre es schon gut, wenn mal etwas mehr verboten würde. Darum geht es aber gar nicht. Es geht darum, dass wir uns gemeinsam und solidarisch darüber verständigen, was wir als Menschen und als Gesellschaft eigentlich wollen. Und es geht darum, diese Entscheidung nicht länger den Märkten (und im Zweifel auch nicht den Polit-Funktionär*innen) zu überlassen.

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