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Auf der Suche nach der verlorenen Wahrheit

Die Wissenschaftsjournalisten Harald Lesch und Dirk Steffens haben sich für das ZDF auf die Suche nach Verschwörungsideologien gemacht. Sie wollen anhand diverser Beispiele zeigen, dass Verschwörungstheorien tatsächlich gar nicht der Wahrheit entsprechen. Auf ihrer Reise fällt ihnen aber auf, dass ihr Ansatz wenig zielführend ist.

Für Dirk Steffens scheint alles klar: Verschwörungstheoretiker suchen einfach „den Kick“, wenn sie sich eine neue Verschwörungstheorie ausdenken. Es mache einfach Spaß, alles anzuzweifeln. So beginnt die Reise durch die Verschwörungstheorien. Mondlandung, Flacherdler, Chemtrails und Klimawandelleugner werden in der Doku fleißig widerlegt. Doch schon nach dem ersten Experiment merken Lesch und Steffens:

Steffens: „Seien wir doch mal ehrlich, Harald, damit überzeugen wir doch nur Leute, die es ohnehin schon wissen.“

Lesch: „Und die, die nichts glauben wollen, glauben, es sei ein Fake. Obwohl sie es ja selber nachmachen könnten.“

Steffens: „Warum glauben Leute nur an einen Quatsch, der sich so einfach widerlegen lässt.“

Lesch: Es geht gar nicht so sehr darum an was sie glauben, als vielmehr an was sie nicht glauben. Sie glauben nämlich nicht der Quelle der Information.“

Statt nun immer weitere Mythen zu widerlegen, was von den Verschwörungsfanatikern ohnehin nicht akzeptiert wird, kommen sie jedoch leider nicht auf die Idee, etwa eine sozialpsychologische Erklärung zu suchen: Also bei den Individuen anzufangen.

Genau hier setzte vor ca. 70 Jahren ein sozialpsychologisches US-Forscherteam unter der Leitung des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno an. In ihren Studien über den „Autoritären Charakter“ kamen die Soziologen zu einem ähnlichen Schluss, wie Lesch und Steffens. Der Unterscheid besteht darin, dass erstere die Erkenntnis zur Voraussetzung ihrer Theorie machen und letztere bei der Schlussfolgerung stehenbleiben, dass die Widerlegung von Fantasien nicht zielführend sei.

Konstitutiv für den „Autoritären Charakter“ ist der Antisemitismus. Adorno und seine KollegInnen gehen mit Bezug auf Sigmund Freuds Psychoanalyse davon aus, dass:

„…der Antisemitismus weit mehr als auf den wirklichen Eigenschaften der Juden auf subjektiven Faktoren und der allgemeinen Situation des Antisemiten basiert, und daß die Determinanten antisemitischer Einstellungen zum einen bei den Personen zu suchen sind, die sie äußern.“

Es sind also eigene Bedürfnisse, welche den Antisemiten und die Verschwörungstheoretikerin (beide sind meist eng verwandt) für alternative Erzählungen empfänglich machen. Nun möchten die Autoren das Problem aber nicht auf die Individuen reduzieren. Sie behaupten, dass diese Bedürfnisse nicht bereits von Geburt an in der eigenen Person schlummern. Im Gegenteil: Sie werden durch Erfahrungen in der kalten, kalkulierenden, undurchsichtigen und übermächtigen modernen Gesellschaft geweckt, der das Individuum gegenübersteht:

„Die Struktur des Wirtschaftssystems wirkt sich auf alle menschlichen Beziehungen und selbst die innerste Verfasstheit des Individuums aus. Insofern spiegelt der alles durchdringende Zug der gesellschaftlichen »Entfremdung« weitgehend das Wesen einer Warenwirtschaft wider, in der der Mensch als Produzent und Konsument von Waren und nicht als Subjekt seiner Gesellschaft erscheint.“

Demnach entsteht eine geistige Entfremdung des Individuums, die zu Desorientierung, Furcht und Unsicherheit führt. Daraus resultierten eine politische Stereotypie und Personalisierungen. Es wird nach einfachen, „rational“ verständlichen Lösungen in einer ganz offensichtlich sehr komplexen und oft gar nicht so rationalen Gesellschaft verlangt. Außerdem befördern die modernen Massenmedien ein kulturelles Klima, welches durch ein hohes Level der Standardisierung stereotypes Denken befördert, also die Möglichkeit von eigener Erfahrung und Meinungsbildung verhindern. Adorno nennt das „Ticket-Denken“. Hinzu kommt, dass das durchschnittliche Individuum mit seiner 40-Stunden Woche meist wenig Zeit hat, sich wirklich mit Dingen über einen längeren Zeitraum auseinanderzusetzen, also Themen zu durchdringen.

Von dieser Angst spricht in der Doku dann auch Giulia Silberberger, die Gründerin des Goldenen Aluhuts, einem Preis für Verschwörungstheoretiker*innen. Sie bestätigt, dass den Verschwörungsideologen nicht mit Argumenten beizukommen ist, da diese sich in ihre „emotionale Schutzzone“ zurückziehen, wenn sie mit Argumenten konfrontiert werden. Silberberger sieht, genau wie Adorno und seine KollegInnen, den Antisemitismus als „Dach der Verschwörungstheorie“. Darauf gehen die Wissenschaftsjournalisten des ZDF jedoch nicht weiter ein, sondern versuchen stattdessen unermüdlich Verschwörungserzählungen zu widerlegen.

Im Kapitalismus hängt die Demokratie vom Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise ab. Die Demokratie ist somit keine einfache „Herrschaft des Staatsvolkes“, der eigentlichen Bedeutung des Begriffs. Stattdessen werden viele Entscheidungen von abstrakten Mechanismen geformt, den Politiker*innen bleibt meist wenig Spielraum. Diesen Widerspruch spüren auch Verschwörungstheoretiker*innen. Dabei wenden sie sich jedoch nicht gegen diesen inneren Widerspruch, sondern in Gänze gegen die Demokratie als politische Form. Stattdessen verlangen sie nach einer autoritären Führung, die zu vermeintlich freierem Handeln imstande sei.

„Alles hängt mit allem zusammen: Eisernes Gesetz in der Ideologie eines Verschwörungstheoretikers.“ Heißt es an einer Stelle in der Dokumentation. Die Phrase, die wohl jeder Soziologe aus dem Erstsemester kennt, nach der alles mit allem zusammenhängt hat einen Wahrheitskern. Denn: In unserer unübersichtlichen kapitalistischen Moderne mit ihrem Weltmarkt, kontinentalen Parlamenten und weltumspannenden Pandemien, hängt tatsächlich alles irgendwie zusammen. Ganz falsch kann die Beobachtung also nicht sein. Was die Verschwörungstheorien aber so problematisch macht, ist, dass angeblich eine einzige Person oder eine Gruppe (meist die Juden) diesen Zusammenhang steuert.

Dahinter steckt die bürgerliche Vorstellung, alle Menschen, und vor allem die Reichen und Mächtigen, seien autonome, frei handelnde Subjekte, die niemals durch äußere Umstände beeinflusst werden. Mit dieser Vorstellung haben die Verschwörungstheoretiker*innen jedoch paradoxerweise eine Gemeinsamkeit mit Lesch und Steffens.

Steffens: „Zu glauben, dass die da oben alle böse sind und alle zusammenarbeiten, da muss man aber ganz schön misstrauisch sein“.

Lesch: „Tja vielleicht weil die Geschichte gezeigt hat, dass gelegentlich ein bisschen Misstrauen angebracht sein kann. Jedes Mal, wenn eine Regierung ihre Bevölkerung belügt oder ein Großkonzern was vertuscht, schwindet das Vertrauen ein bisschen mehr.“

Hier gibt Lesch klugerweise zu, dass ja wirklich schlechte Dinge in der Welt passieren. Das Problem dabei ist, dass es für Lesch eben nur Ausnahmen sind. Eigentlich liefe alles rund, wenn nur die paar Unternehmen oder Regierungen sich anders verhielten. Somit wälzt er das Problem ebenfalls auf einzelne Akteure ab. Dass das Problem ein ganz Allgemeines ist, also dass die Herrschaft im Kapitalismus eine abstrakte, unpersönliche ist, darauf kommen weder Verschwörungsfantasten noch die zwei Wissenschaftsjournalisten.

Verschwörungstheorien sind immer auch historisch. Die alte Marotte, dass die Mondlandung gefälscht sei, hatte vielleicht in der Zeit des kalten Krieges ihren historischen Sinn. Heutzutage interessiert das recht wenige Personen. Auf den Transparenten der „Corona-Demos“ oder den Redepulten der Pegida Bewegung wurde nicht für die flache Erde argumentiert, sondern gegen Geflüchtete gehetzt.

Die Angst vor dem Ausstoß von Flugzeugen hat im Kontext des Klimawandels und der Verschmutzung der Luft in gewisser Weise einen „Sinn“, genauso wie die Angst vor dem Islam oder einer „Überflutung“ durch Flüchtlinge in Zeiten von Flüchtlingskrise und islamistischem Terror. Sinn ist hier gemeint als eine Ableitung und Übertreibung aus teilweise realen Schnipseln.

Merkwürdig ist daher auch ein in der Doku aufgezeigter Vergleich mit einer Verschwörung im 14. Jahrhundert. Der König von Frankreich verbreitete eine ausgedachte Verschwörung der Tempelritter gegen das Königreich, da er Schulden bei den Tempelrittern hatte. Der Vergleich hinkt, da es sich hierbei um ein vormodernes Phänomen handelt. Die Tempelritter befriedigten nicht das unbewusste Bedürfnis der Bevölkerung, sondern sollten in einer kalkulierten Maßnahme eines Herrschers liquidiert werden. Dies zeigt die offensichtliche personale Herrschaft im Feudalismus, nicht die abstrakte Herrschaft der Moderne. Zum Verständnis heutiger Verschwörungsideen trägt diese Geschichte somit wenig bei.

Am Ende der Doku fragt Dirk Steffens, was man denn gegen Verschwörungstheoretiker*innen tun könne. Woraufhin Lesch antwortet: „Sauber wissenschaftlich arbeiten!“ Die Anregungen von Silberberger bläst er somit unbekümmert in den Wind: Rückzug in den naturwissenschaftlichen Positivismus! Die Frage nach den (sozialwissenschaftlichen) Ursachen von Verschwörungstheorien durchdringt er damit nicht.

Um dies anzugehen müsste man sich nicht mit den Verschwörungstheorien auseinandersetzen. Im Gegenteil: Es gilt die Empfänger und ihre Umwelt zu analysieren. Die Konzentration auf irrwitzige Fantasien verschiebt das Thema auf eine vermeintlich neutrale und unpolitische Ebene, auf der nur bewiesen werden muss, was der Wahrheit entspricht. Somit entledigt man sich der Hürde, sich mit der modernen Gesellschaft und ihrem Alltag zu befassen, und das Problem kann somit als das der Anderen verworfen werden. Wieso es gerade die Juden sind, die häufig konstitutiv für Verschwörungstheorien sind, erfahren wir in der Doku ebenfalls nicht. Antisemitismus ist deshalb so stark in Verschwörungsmythen verankert, da er als eine genuin antimoderne Haltung zu verstehen ist. Ohne Verständnis der kapitalistischen Moderne auch keine Erklärung des Antisemitismus.

3 Kommentare

  1. Hm, dein erster Einwand überzeugt mich nicht so richtig.
    Du argumentierst, wenn ich dich richtig verstehe, dass die Leute doch faktisch genug Zeit hätten (die Wochenenden, der Feierabend, die Arbeitslosen…). Da könnten sie sich doch einfach mal hinsetzen, so schwer sei das schließlich alles nicht.
    Das Argument ignoriert m.E. den subjektiven Faktor an der ganzen Angelegenheit. Ich zumindest bin nach einem Tag oder gar einer Woche Lohnarbeit tatsächlich kaputt. Da bin ich froh, wenn ich nicht mehr Theoriekram lesen muss. Und meine Erfahrung ist, dass es vielen anderen ähnlich geht. Es ist ja auch kein Zufall, das viele Leute aus linken Szene-Zusammenhängen rausfallen, sobald sie in der Lohnarbeitsfalle hängen.
    Hier die Schuld bei denen zu suchen, die ja bereits unter den Verhältnissen zu leiden haben, wiederholt die Unterwerfung ein zweites Mal. Jetzt sind sie auch noch selber für ihren Zustand verantwortlich, ein Gegenstand des allgemeinen Gespöts. Ich denke aber, das ist nicht angemessen.

    1. Hallo Justus,
      dass Arbeit Leute kaputt machen kann, sehe ich auch so und kenne es auch. Nur könnte das gerade der Anlass dafür sein, da herauszukommen. Bei dir und bei mir und vielen anderen in der kleinen Baracke der Kritik war es ja auch so. Ich nehme an, dass du „Theoriekram“ nicht nur lesen musst, sondern auch wolltest und willst. Du hast dir die Zeit „genommen“, wie ich auch.
      Opfer des Reproduktionszwanges sind wir alle, ich möchte niemanden verspotten. Subjektiv habe ich die Sache eher umgekehrt erlebt, dass nur eine Andeutung von Kritik verspottet und exponiert wird – der Spinner.
      Die „totale Durchdringung“ hat für mich einen pessimistischen Einschlag, deshalb begehre ich so dagegen auf. Das hat nichts mit Schuldzuweisung zu tun, ich nehme die Leute nur ernst.

  2. Im Allgemeinen stimme ich Deiner Kritik zu. An zwei Dingen hänge ich mich auf: 1. wenig Zeit, Themen zu durchdringen. Jain. Wie kurz müsste die Arbeitswoche denn sein, um Themen zu durchdringen? Was mit Arbeitslosen, die die Zeit hätten? Was mit den Wochenenden oder anderen freien Zeiten, wenn familiäre Verpflichtungen erledigt und Emotionalität Genüge erfahren hat oder gar nicht einer Themendurchdringung im Wege steht? Ich finde, das hat etwas von einer Ausrede. Ich kenne es allerdings von mir, dass ich nur bis zu einem gewissen (Zeit-) Punkt bereit bin, mich mit einem Komplex zu beschäftigen. Ich bezweifle, dass die Erkenntnisfähigkeit „durchschnittlicher Menschen“ nicht da ist, der Erkenntniswille fehlt, was sie gewiss gerade durchschnittlich macht, sie wollen „dazugehören“, ihre Identität wird erschüttert, wenn sie sich selbst gegenüber zugeben, in Strukturen eingewebt zu sein, die sie selbst reproduzieren.
    2. die totale Durchdringung der Gesellschaft mit dem Algorithmus der Ware. Das teile ich nicht. Was ist abgeleitet, was nicht? Wenn alles abgeleitet ist, ist Kritik nur der Trauergesang für den Untergang der Ware. Ich will damit nicht den platten Positivismus verteidigen.
    Die Adressaten für Kritik sind nicht ressentimentgeladene Kleinbürger, sie sind ein Gegenstand der Kritik. Insofern wünsch ich Eurem Projekt gute Verbreitung.

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