Haben sie es erkannt? Dieser Wolf mag ungefährlich sein, aber die Grauen Wölfe sind eine Organisation des türkischen Rechtsextremismus und die größte verfassungsfeindliche Organisation in Deutschland. Pixabay

Fallstricke des liberalen Antirassismus

Was ist antimuslimischer Rassismus?

Im Grunde genommen besteht antimuslimischer Rassismus darin, das alle Leute die sich als Muslime bezeichnen (oder von anderen so bezeichnet werden) unter dem Label ,Islam“ zusammengefasst und damit verdinglicht werden. Sie werden ausschließlich als zu diesem Label zugehörig verstanden und  alles was sie tun wird darauf zurückgeführt, dass sie ihm untergeordnet sind. Dadurch werden ihnen gesellschaftlich als negativ angesehene Eigenschaften zugeschrieben und die betreffenden Menschen mit diesen Eigenschaften (etwa Schwulenfeindlichkeit, eine Nähe zu terroristischen Attentaten oder eine ausgeprägte Misogynie) bewertet.

In diesem Fall werden dann nicht mehr konkrete Taten konkreter Menschen kritisiert (und auf deren Biographie, ihr gesellschaftliches Umfeld und ihre politische Positionierung zurückgeführt), was ja ein durchaus legitimes Unterfangen wäre.  Statt einer konkreten, anlass- und kontextbezogenen Analyse und Kritik wird zu einer allgemeinen Islamkritik ausgeholt. Dabei werden die Verhaltensweisen von Angehörigen moderner Gesellschaften umstandslos auf einen über 1300 Jahre alten Text zurückgeführt und restlos aus ihm erklärt. Die Einbindung der kritisierten Menschen in die sie umgebende moderne Welt wird zugunsten der Erklärung über ihre von außen zugeschriebene Gruppenidentität ignoriert.

Um es in einem Bild zu beschreiben, könnten wir auch sagen: alle Muslime werden in eine Kiste gesteckt und dann nur noch als Angehörige dieser Kiste behandelt . Die Kiste wird im Anschluss mit ganz vielen Etiketten beklebt, die von nun an angeben sollen, was in der Kiste drin ist. Die Menschen werden dann aufgrund ihrer Etikettierung behandelt. Der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno sprach im Zusammenhang mit dieser Form der Verdinglichung daher zutreffend von Ticket-Denken.

Das ist für die Betroffenen in vielerlei Hinsicht fatal. Denn jetzt ist es egal, wie sie sich politisch und menschlich präsentieren. Ganz gleichgültig, ob es sich um liberale oder um sozialdemokratische Muslime handelt, um anarchistische, kommunistische oder nationalistische Muslime. Es spielt keine Rolle mehr, ob die betreffenden Menschen ein feministisches Selbstverständnis haben, ob sie Rassismus bekämpfen oder selbst rassistisch agieren, ob sie antisemitische Sprüche ablassen oder brav ihren Adorno gelesen haben.

Liberaler Antirassismus in Deutschland

So weit, so schlecht. Nun gibt es aber glücklicherweise nicht nur antimuslimischen Rassismus, sondern auch Kritik an ihm. Dabei hängt es jedoch stark von der spezifischen Vorstellung sowohl von antimuslimischem Rassismus als auch von der Gesellschaft, in der er praktiziert wird, ab, was genau da am Ende wie kritisiert wird.

Die zur Zeit vorherrschende Form der Kritik möchte ich als liberalen Antirassismus bezeichnen. Der liberale Antirassismus nimmt die negative Bewertung der als Muslime markierten Menschen wahr. Diese teilt der liberale Antirassismus aber gar nicht und kritisiert sie deswegen. Die betroffenen Menschen werden dabei als Opfer von antimuslimischem Rassismus wahrgenommen. Bei diesem Prozess erfolgt in gewisser Weise eine Umetikettierung der Kiste: statt „homophober Terrorist“ steht da nun „Opfer“ drauf. Auch dieses Ticket gilt grundsätzlich und wird als Erklärung für alle Handlungen von Menschen zur Begründung herangezogen, die nun mal in dieser Kiste stecken. Und zwar für alle und das auch ausschließlich.

Damit umgeht es der liberale Antirassismus allerdings, mit der Verdinglichung zu brechen, die dem antimuslimischen Rassismus eigen ist. Muslime werden nun als eine Art Kuscheltiere behandelt, mit denen sich das eigene, antirassistische Gewissen schmücken lässt, die aber selber aus der Welt politischen Akteur*innen ausgeschlossen sind. Noch immer sind sie weder Menschen mit liberalen noch sozialdemokratischen, weder mit anarchistischen noch kommunistischen, schon gar nicht nationalistischen oder gar (neo-)salafistischen Ansichten. Sie sind einfach nur Muslime und sollen sich damit doch bitteschön begnügen. Immerhin werden sie nicht mehr „diskriminiert“, d. h. für ihr Label ausgegrenzt.

Das stimmt freilich nur zur Hälfte. Denn aus dem Kreis derer, die wesentliches zur politischen Willensbildung beizutragen haben, bleiben sie ausgeschlossen. Sie werden nach wie vor nicht als Menschen, sondern als Angehörige eines Labels wahrgenommen.

Damit sind sie aber keine politisch handelnden Subjekte mehr, sondern bleiben Objekt der Klassifizierungswillkür der chauvinistischen Dominanzgesellschaft. Dieser Blickwinkel hat zudem Auswirkungen auf das, was als antimuslimischer Rassismus wahrgenommen wird. Denn in einer vollständigen Umkehrung der diskursiven Logik wird nun jede Kritik an empirischen Muslim*innen als antimuslimischer Rassismus wahrgenommen und zurückgewiesen. Die antirassistische Kritik bezieht sich nicht länger auf einen theoretisch verstandenen Zusammenhang, sondern geht vielmehr umgekehrt vor: Sie beginnt mit der vorgenommenen Etikettierung, wiederholt sie mit umgekehrtem Vorzeichen und kann auf diese Weise den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Damit wiederholt sich die Objektivierung noch ein zweites (diesmal gutgemeintes) Mal.

Damit verfängt sich diese Position jedoch in strategischen Fallstricken. Denn sie ermöglicht es nationalistischen und rechtsextremistischen Positionen gerade durch die vermeintlich konsequente Verwendung dieser Konzeption vom antimuslimischen Rassismus, jede Kritik am eigenen politischen Handeln als unberechtigt und rassistisch zurückzuweisen .

Das zeigt sich ganz offensichtlich an den Positionen, die von antimuslimischen Rassist*innen vertreten werden. Sie erscheint dann als ebenso rassistisch wie differenzierte Kritiken an explizit rechtsextremistischen Positionen innerhalb der muslimischen oder türkischen Community. Je umfassender jede Kritik an Muslim*innen – gleichgültig ob sie im Einzelfall berechtigt ist oder nicht – als antimuslimischer Rassismus verworfen wird, desto mehr schwächt dies diejenige Kritik am antimuslimischen Rassismus, die bitter nötig ist. Etwa wenn dieser in Form einer vermeintlichen Islamkritik eine Religion (hier: den Islam) als ein über Zeit und Raum mit sich identisches Phänomen behandelt und über die Verdinglichung der Religion zugleich auch die Gläubigen verdinglicht. Falsche Kritik am antimuslimischen Rassismus stärkt ihn dort, wo er tatsächlich vorkommt.

Sie stärkt aber auch die nationalistischen und islamistischen Zirkel innerhalb der muslimischen Community. Diese haben dort ohnehin schon einen überdurchschnittlich starken Einfluss, da sie über betuchte Geldgeber*innen in diversen muslimisch geprägten Staaten verfügen. Das gilt für Moscheebauten, die aus Saudi-Arabien finanziert werden ebenso wie für die DITIB-Prediger, die in der Türkei ausgebildet und vom türkischen Staat finanziert werden. Insbesondere im Umfeld der DITIB hat sich ein sehr strategischer Umgang mit dem Vorwurf des antimuslimischen Rassismus etabliert. Denn egal welche Kritik gegenüber dem Verband vorgebracht wird, immer wird sie mit dem Hinweis auf Diskriminierung zurückgewiesen. Das gilt beispielsweise auch für den Umgang mit den Kritiken am ehemaligen Vorsitzenden der DITIB-Gemeinde in Göttingen und dem niedersächsischen Landesverband der DITIK-Jugend, auf die wir bereits hingewiesen haben.

Mit der Stiftung für politische wirtschaftliche und gesellschaftliche Forschung (SETA) gibt es sogar eine eigene „wissenschaftliche“ Forschungseinrichtung, die im Sinne der türkischen Politik auf die gesellschaftspolitische Debatte (nicht nur) im deutschsprachigen Raum Einfluss nehmen soll. Die Stiftung hat eine Niederlassung in Berlin. Um die Finanzierungsstruktur der Stiftung genauer zu klären, richtete die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke eine Anfrage an die Bundesregierung. Diese bringt die Stiftung in einen engen finanziellen und organisatorischen Zusammenhang mit den politischen Zirkeln um den türkischen Präsidenten Erdogan:

Die türkische SETA-Stiftung wird maßgeblich von der Familie Albayrak finanziert. […]
Die Familie ist eine der einflussreichsten der Türkei: Sadik Albayrak ist ein alter Freund von Präsident Recep Tayyip Erdogan und gehört schon lange zu dessen engstem Zirkel. Das gilt auch für seinen jüngsten Sohn Berat, der mit Erdogans Tochter verheiratet ist und zurzeit das Amt des Finanzministers innehat. Eine Verbindung zwischen der mächtigen Familie und der Denkfabrik SETA besteht auch personell: Der ältere Sohn Serhat Albayrak, der seit Jahren die mächtige regierungsnahe Mediengruppe Sabah leitet, ist auch Chef der SETA.

Elmas Topcu:  SETA: Eine Stiftung im Dienste der AKP

Für die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die seit Jahren und Jahrzehnten bekannt ist für ihr Engagement gegen rechtsextremistische Strukturen in Deutschland, lässt diese Verbindung die Alarmglocken läuten:

Für Jelpke ist das Resultat der Kleinen Anfrage ein Grund, Konsequenzen einzuleiten. „SETA sei keine harmlose wissenschaftliche Institution, sondern eine „bösartige Lobby- und Denunziationsorganisation des Erdogan-Regimes“, sagte Jelpke der DW. „Sie stellt vermeintliche und reale Regimekritiker im Ausland an den Pranger und gibt diese zum Abschuss frei für türkisch-nationalistische Agenten, Trolle und Schläger. Dieser Organisation mit engsten Verbindungen in die Spitzen des AKP-Staates gehört das Handwerk gelegt.“

Elmas Topcu  SETA: Eine Stiftung im Dienste der AKP

Neben den Verbindungen zur DITIB gibt es bei der SETA allem Anschein nach zudem eine Anbindung an die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG), die der ägyptischen Muslimbruderschaft nahesteht. Vorwürfe gegen die DITIB oder die DMG seien völlig aus der Luft gegriffen, wird dann von Journalisten wie Tarek Baé (der selbst einige Zeit bei der SETA gearbeitet hatte, selbstverständlich rein wissenschaftlich-objektiv) vorgebracht. Die Vorwürfe werden dann zudem als Anhaltspunkt für eine weitreichende Verschwörung gegen den türkischen Nationalismus angesehen.

Auf diese Weise nutzen nationalistische, islamistische und andere rechtsextremistische Organisationen den Vorwurf des antimuslimischen Rassismus als Immunisierungsstrategie. Das wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass inhaltliche Distanzierungen von demokratiefeindlichen Positionen immer dann ausbleiben, wenn diese mit den Interessen und der politischen Haltung des Geldgebers (im Falle der DITIB also des türkischen Staates) kollidieren.

DITIB und der fehlende Antifaschismus

In Göttingen musste der Vorsitzende des Ortsverbandes der DITIB-Gemeinde zurücktreten. Er hatte antisemitische und rassistische Postings über die sozialen Medien verbreitet. Der Fall und der Umgang mit ihm wirft ein trauriges Licht auf eine Praxis des Antifaschismus in dieser Gesellschaft.

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