Querfront und Corona

Rezension zu „Aufruhr in Deutschistan“

Corona und ich oder: Ich und Corona

Reinhard Ammer hat ein Buch über das politische Erstarken der Neuen Rechten seit der Corona-Pandemie geschrieben. Wir haben für euch hineingeschaut. Einen Auszug aus der Einleitung dokumentieren wir darüber ebenfalls auf unserer Seite.

Ein Jahr lang hockt die Welt im Lockdown. Das politische Versagen der globalen Funktionseliten ist mittlerweile kaum zu übersehen.Reaktionäre, nicht selten antisemitisch oder nationalistisch colorierte Krisenreaktionen beherrschen die Politik-Seiten der großen Medien. Mit der Bewegung zur Corona-Folgenleugnung hat die Neue Rechte einen neuen Anknüpfungspunkt gefunden, über den die Protagonist*innen des nationalen Widerstands wohl froh sein dürften.

Reinhard Ammer hat über diese Zusammenhänge ein Buch geschrieben. Er nennt es „Aufruhr in Deutschistan“. Auf Nachfrage der Redaktion, warum er die Formulierung Deutschland umgehen wollte, schrieb der Autor, er habe „sowieso unbedingt und von allem Anfang an durch die Verwendung eines ,respektlosen‘ Begriffs den Eindruck vermeiden (wollen), dass ich mir wegen eines Aufruhrs ausgerechnet um Deutschland Sorgen mache.“ Das sollte ihm auf jeden Fall gelungen sein, nicht nur was den Titel des Buches angeht.

Es liest sich über weite Strecken so, als hätte der Autor, allein im heimeligen HomeOffice, die politischen Debatten rund um die Corona-Krise und die Verdrängung bzw. Leugnung ihrer Folgen in den Medien beobachten und dann, in kurzen Zeitabständen, seine Eindrücke jeweils in einem wütenden Blogbeitrag niedergeschrie(b)en. Die Blogbeiträge sind dann nach einem halben, vielleicht dreiviertel Jahr thematisch sortiert und dann als Buch herausgegeben worden. Ganz so wird es wohl nicht gewesen sein. Doch der Stil der Einwürfe drängt zu diesem Gedanken.

Der Autor entfaltet verschiedene Diskursstränge der sog. „Corona-Proteste“ und bringt sie mit den Strategien und Theorien der Neuen Rechten in Verbindung. Die Darstellungen der Netzwerke der Neuen Rechten sind dabei bei Weitem nicht so detailliert wie in den einschlägigen Fachbüchern, decken aber immer wieder deutliche Parallelen zu Inhalten und Strategien dieser Szene auf. Und sie sind durchweg flott geschrieben und sehr angenehm zu lesen. Ausgehend von den hegemonietheoretischen Überlegungen Gramscis entwickelt Ammer, wie theoretische Standpunkte von der Rechten übernommen und in den eigenen Theoriekanon eingepflegt wurden. So verbindet er sehr grundsätzliche Überlegungen zur Übernahme linker Theoriefragmente in die neurechten Polit-Strategien mit der Frage, warum diese wohl so leicht hatten anverwandelt werden können.

Ammer verweist dabei durchaus auf einige interessante Aspekte, schießt mit seiner Kritik jedoch auch oftmals über das Ziel hinaus. Denn wenn er die mit Verschwörungmythen verwobene personalisierte Herrschaftskritik auch zurecht kritisiert, fallen seine Polemiken gleichsam nicht selten ebenfalls auf eine, wenn auch anders ausgerichtete, Personalisierung zurück. Denn auch der Autor der Deutschistan-Abrechnung teilt die Welt bisweilen auf in Gut und Böse. Böse, das sind die Menschen da draußen, die noch an die Politik glauben und ein gutes Deutschland beschwören. Und gut, das ist dann einzig der Autor, alleine in seinem Kämmerlein und frustriert von der Dummheit der restlichen Welt.

Es passiert bisweilen, dass jemand als Tiger springt und als Bettvorleger landet. Ammer ist als Robert Kurz gesprungen, aber als Winston Churchill gelandet. Denn es ist Churchill, dem nachgesagt wird einst darauf hingewiesen zu haben, wer mit 25 kein Kommunist sei, habe vermutlich kein Herz; wer aber mit 35 kein Konservativer sei, habe keinen Verstand. Der Autor wiederholt diese Figur (ob freiwillig oder unfreiwillig sei mal dahingestellt), wenn er auf seine eigenen politischen Jugendsünden verweist und diverse DDR-Honoratioren für ihr frühes antifaschistisches Engagement lobt – nur, um dann dabei herauszukommen, dass letztere im Nachgang dann doch viel Unsinn gemacht und er als Autor des Textes seine politischen Hoffnungen zumindest begraben und deren Unsinn eingesehen habe.

Trotz dieser bisweilen sehr schulmeisterlichen (der Autor ist laut eigener Auskunft tatsächlich an einer Schule tätig) Art lässt es sich über den Text an vielen Stellen gut schmunzeln und zudem einiges lernen und erkennen. Etwas getrübt wird der Eindruck allerdings durch die recht lieblose Gestaltung und den bisweilen sehr gedrängten Textsatz. Wer aus kapitalismuskritischer Sicht die Corona-Debatte analysieren möchte, wird in diesem Buch jedoch trotzdem einige bedenkenswerte Aspekte finden.

Aufruhr in Deutschistan

Linke, quere und rechte Politik in den Zeiten der Corona-Pandemie
Investigation und Proklamation
von Reinhard Ammer
Schillo Verlag
220 Seiten
Paperback/ Softcover
ISBN 978-3-944716-44-2
15,00 €

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert