Im Zusammenhang mit den derzeitigen Hochwasser-Katastrophen in NRW wird von der Klimabewegung zurecht darauf verwiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Klimakrise und den Überschwemmungen gibt. Doch wie sieht der aus?
Die Frage nach den Ursachen von Überschwemmungen lässt sich in zwei Richtungen präzisieren: Warum kommt so viel Wasser vom Himmel? Und wieso verteilt es sich nicht unauffällig in der Landschaft? In Bezug auf den ersten Punkt ist der Zusammenhang recht klar. Im Zuge der Klimakrise erhöht sich sowohl die Wahrscheinlichkeit von Extremwetter-Ereignissen als auch die potenzielle Heftigkeit, mit der sie zuschlagen.
Nun treffen diese zunehmenden Niederschläge aber nicht auf intakte Flusslandschaften, sondern auf eine hochgradig zugerichtete Kulturlandschaft. Seit dem 19. Jahrhundert werden Flüsse zunehmend als Wasserstraßen und damit als Transportwege für den Warentransport begriffen. In Bezug auf diese mögliche Funktion wurde die Nutzbarkeit der Flüsse für die kapitalistische Ökonomie perfektioniert. Wie immer im Rahmen des technokratischen Naturmanagements, hat die Optimierung einer Funktion jedoch in aller Regel zur Folge, dass andere Funktionen zurückstecken müssen. Und so wurden Flusswege begradigt und Flussauen trockengelegt – mit der Folge, dass Regenfälle deutlich schneller dazu führen, dass der Fluss zu einer Bedrohung für die in seiner Umgebung lebenden Menschen wird.
Insofern ist es dann auch eine verharmlosende Bezeichnung, wenn die Ursache dieser Veränderung darin ausgemacht wird, die Erde sei im Zeitalter des Anthropozän angelangt. Denn es ist nicht einfach der Mensch, der hier die Ursache für Veränderungen etwa in klimatischer Hinsicht ist. Es ist vielmehr ein ganz spezifisches soziales Verhältnis, dass die Menschen zueinander eingehen, das als Ursache für die Verschiebungen gelten muss. Insofern handelt es sich eher um ein Kapitalozän als um ein Anthropozän. Der Selbstzweck des Kapitals, aus einem Euro zwei zu machen, sorgt für Ökonomisierung der Flusslandschaften, während die Sicherheit und das Leben der Menschen, die in der Nähe dieser Flüsse wohnen, zweitrangig sind. Es wird unterstellt, dass sich für sie schon alles zum Besseren wenden werde, wenn es nur „der Wirtschaft“ gut gehe. Das dürften die derzeit Betroffenen vermutlich anders sehen.
Was für eine Begradigung der Flüsse gilt, gilt ebenso für die zunehmende Flächenversiegelung. Auch die ist nicht einfach eine Folge ungesellschaftlicher menschlicher Aktivitäten, sondern ein direkter Ausfluss der kapitalistischen Produktionsweise. Wir wollen im Folgenden an einigen Beispielen exemplarisch zeigen, wie die Ursachen für heutige Probleme durch den Willen geschaffen wurde, dem Selbstzweck der Kapitalakkumulation Vorschub zu leisten.
Flankiert werden die Auswirkungen von Flussbegradigungen und steigender Flächenversiegelung durch die Zerstörung der Flussauen. Auf diesen Zusammenhang haben bereits Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg in ihrem Buch „Was hat die Mücke je für uns getan?“ aufmerksam gemacht:
Es wird viel zu wenig darüber gesprochen, welche menschlichen Eingriffe in die Natur dafür sorgen, dass diese Naturgewalten immer öfter auch zu Naturkatastrophen werden. Bedauerlicherweise haben wir in der Vergangenheit aus den verschiedensten Gründen massiv in genau diejenigen Ökosysteme eingegriffen, die die Folgen von zu viel Wasser abmildern könnten, und tun das bis heute. Die durch den Klimawandel intensivierten Wetterereignisse schlagen daher nun umso härter zu, weil die Natur ihre Schutzfunktion immer mehr verliert.
Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg: Was hat die Mücke je für uns getan?
Ein Paradebeispiel für ein schützendes Ökosystem in unseren Breiten sind die Auen. Auen sind die natürlichen Überflutungsflächen entlang von Flüssen. Bis zu einem gewissen Grad können Auen ebenso wie Wälder überschüssiges Wasser aus Starkregen oder Flutwellen aufnehmen und zu einem späteren Zeitpunkt langsam wieder abgeben. Jede Überschwemmung bringt dabei neuen, oft sehr fruchtbaren Boden mit sich. Der Wechsel von hohen und niedrigen Wasserständen schafft in den Auen ein reichhaltiges Mosaik unterschiedlicher Lebensräume und strukturiert die Landschaft auf vielfältige Weise.
Das heißt nun im Umkehrschluss freilich nicht, dass es in einer Gesellschaftjenseits des Kapitalismus eine unberührte natürliche Umgebung des Menschen gäbe, die von den Menschen sich selber überlassen würde. Das Problem ist nicht die Nutzung natürlicher Möglichkeiten durch den Menschen. Das Problem sind die Paradigmen, unter denen diese Nutzung stattfinden. Denn die wirken sich darauf aus, wie das Mensch-Natur-Verhältnis sich qualitativ ausgestaltet.
Flussbegradigung am Beispiel des Rhein
Die Rheinbegradigung kann als Prototyp des technokratischen Naturmanagements während der Industrialisierung gelten. Sie wurde zwischen 1817 und 1876 vorgenommen und hatte das Ziel, den Rhein bis nach Basel hinaus schiffbar zu machen. Die Fließgeschwindigkeit des Flusses wurde erhöht, der Bau von Dämmen wurde notwendig. Der Fluss war nun besser zu beschiffen, kam aber seinen übrigen Funktionen immer schlechter nach:
An einigen Stellen grub sich der Fluss bis zu 10 Meter tief in den Grund. Damit senkte sich der Grundwasserspiegel und war für die landwirtschaftliche Nutzung der angrenzenden Flächen zu niedrig. Einzelne Auwälder starben ab. Zudem mussten in vielen Orten vorhandene Brunnen vertieft werden, um weiterhin die Wasserversorgung sicherzustellen.
Wikipedia: Rheinbegradigung
In diesem Zusammenhang bemerkte Professor Dr. Jürgen Pohl vom Geographischen Institut der Universität Bonn bereits von etwa 20 Jahren, dass die Kombination von Flussbegradigung und Flächenversiegelung beim Rhein eine zentale Rolle spiele, wenn es um Hochwasser gehe:
In den letzten Jahrzehnten haben die Hochwassermeldungen zwar eindeutig zugenommen“, erklärt Professor Dr. Jürgen Pohl. „Allerdings kennen wir aus der Zeit vor der Industrialisierung katastrophale Hochwasser mit wesentlich höheren Wasserständen – beispielsweise das von 1784, das um Meter über denen von 1993 und 1995 lag.“ Grund: Früher fror der Rhein im Winter regelmäßig zu; im Frühjahr konnten die Eisschollen dann Barrieren bilden, an denen sich das Wasser zu künstlichen Seen staute. Wenn diese Barrieren brachen, ergossen sich ungeheure Wassermassen talabwärts. „Aufgrund der gesteigerten Fließgeschwindigkeit und der Einleitung von – relativ warmem – Ab- und Kühlwasser sind diese ’Eishochwasser’ selten geworden. Zum letzten Mal ist der Rhein vor fünfzig Jahren zugefroren“, erklärt Professor Pohl.
Innovationsreport: Grund für Rheinhochwasser: Flussbegradigung und zunehmende Oberflächenversiegelung
Die Flussbegradigung der Erft
Der Rhein ist dabei kein Einzelfall. Auch bei anderen Flüssen lässt sich ein entsprechendes Vorgehen feststellen. Nehmen wir die ebenfalls gerade über die Ufer getretene Erft. Die wird seit 1859 vom Erftverband bewirtschaftet. Der hieß bei seiner Gründung allerdings noch anders. Mit Dekret vom 3. Januar 1859 hatte die preußische Regierung die „Gesellschaft zur Melioration der Erft-Niederung“ gegründet. Dabei ging es anders als im Falle des Rheins weniger um die Nutzung des Flusses als Transportweg als um Erweiterung der Produktionskapazitäten in den Randgebieten des Flusslaufes.
Vor 150 Jahren galt das Interesse noch weniger dem Fluss selbst als der landwirtschaftlichen Nutzung seiner Umgebung. „Melioration“ bedeutet vor allem Maßnahmen zur Steigerung der Ertragsfähigkeit. Sümpfe sollten entwässert, vertrocknete Böden bewässert werden. Als probates Mittel, das dazu auch dem Schutz vor Hochwasser dienen sollte, galten damals auch die Flussbegradigungen.
Dazu wurden gigantische Anstrengungen unternommen. Allein zwischen 1860 und 1866 entstand ein Netz von Flut-, Entwässerungs- und Bewässerungsgräben mit einer Gesamtlänge von 150 Kilometern. Auf 31 Kilometern wurde der Flusslauf reguliert, meistens begradigt. Bekanntestes Bauwerk dieser Zeit: der Erftflutkanal zwischen Türnich und Blerichen. Darüber hinaus entstanden 50 Kilometer Deiche und Staudämme, 112 Brücken und Stege, 15 Aquädukte, 56 Wehre und Schleusen, 68 Röhren, Rinnen und Durchlässe sowie 16 Grundschwellen.
Frank Klemmer: Erst begradigt, jetzt renaturiert
Doch dabei sollte es nicht bleiben. Seit den 1870er-Jahren geriet der Fluss auch als kostengünstige Möglichkeit zur Externalisierung der Produktionskosten in den Blick:
Mit zunehmender Industrialisierung rückte auch der Fluss selbst langsam aber sicher in den Vordergrund. Nachdem in den 1870er Jahren zunächst die ersten Zuckerfabriken Fuß gefasst h.. Frank Klemmer: Erst begradigt, jetzt renaturiert
Frank Klemmer: Erst begradigt, jetzt renaturiert
Wir sehen: Die Nutzung von Flüssen im Kapitalismus ist vielfältig. Mal werden sie genutzt, um die Abfälle der kapitalistischen Produktion zu entsorgen, mal werden sie zum Weitertransport der produzierten Waren genutzt. Die Menschen und ihre Mitwelt sind freilich in jedem dieser Fälle die Leittragenden.