Warenproduktion zerstört die natürlichen Lebensgrundlagen. Diese simple Einsicht spaltet zunehmend die Bevölkerung der industrialisierten Gesellschaften. Wikimedia

Klimabewegung und Systemversagen

Während in Ägypten die 27. Klimakonferenz beginnt, eskaliert in Deutschland (und nicht nur da) die Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit der Klimakrise. Der Kapitalismus hat seine Spielräume ganz offensichtlich ausgelotet. Um der Klimakrise zu begegnen, werden wir über seine Mechanismen hinausgehen müssen.

Die Bundestagswahl 2021 hatte den Charakter einer Klimawahl. Es war klar, dass hier nicht nur über Details abgestimmt wird, die die kommenden vier Jahre betreffen. Letztlich ging es um die Weichenstellung für eine Welt, die mit einer mehr oder minder ausgeprägten Klimakrise einen Umgang finden muss. Wie stark die Klimakrise ausgeprägt sein würde und wie sich gerade eine vergleichsweise mächtige Gesellschaft im globalen Norden zu ihr verhält, war ein zentrales Thema des Wahlkampfes und der auf ihn folgenden Koalitionsverhandlungen.

Die Grünen, die vielen noch immer als die Partei der Klimagerechtigkeitsbewegung gilt, haben den Wahlkampf und auch die Koalitionsverhandlungen in diesem Sinne geführt. Die Marschrichtung war dabei zu jeder Zeit eindeutig: Die Grünen standen für das Versprechen, die Aufrechterhaltung des Kapitalismus, die Durchsetzung von Menschenrechten und die Bekämpfung der Klimakrise miteinander in Einklang zu bringen. Es war ein gewagtes Projekt, auf welches die Partei und Wähler:innen sich da eingelassen haben. Nun ist der Versuch krachend gescheitert.

Regierungshandeln im real existierenden Kapitalismus

Kaum in der Regierung, wurden die Grünen auch schon mit dem real existierenden Kapitalismus konfrontiert. Mit dem hatten freilich weder die Partei noch die Wähler:innen gerechnet. Die Hindernisse, an die der Reformkurs der Grünen stößt, waren allerdings voraussehbar – ebenso wie das Scheitern des Versuchs, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen.

Da ist die FDP, die man zur Mehrheitsbeschaffung mit in die Regierung aufgenommen hat und die nun stets mit erhobenem Zeigefinger den Vorrang der kapitalistischen Rechnungsführung vor den stofflichen Notwendigkeiten von Natur und Gesellschaft betont. Deren stetiger Verweis auf die Schuldenbremse dient als Erinnerung, worauf es im Kapitalismus ankommt: auf die Finanzierbarkeit.

Und dann ist da das Problem mit den Lieferketten. Die globalisierte Warenökonomie ist darauf angewiesen, dass die diversen Vorprodukte, die wir für die Produktion benötigen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Das gilt auch für die notwendigen Materialien, die so eine umfassende Sanierung der kapitalistischen Infrastruktur benötigt. Wer Wärmedämmung und Solarpaneele zum neuen Trend machen will, braucht dafür zunächst einmal auch das notwendige Material, das in vielen Fällen aber gar nicht da ist, wo es gebraucht wird (sondern stattdessen auf einem Frachter irgendwo auf den Weltmeeren oder in einem chinesischen Hafen). Dementsprechend klagen viele Handwerker:innen: Sie würden ja gerne, aber ihnen fehlt es an den stofflichen Voraussetzungen.

Und selbst wenn das Material mal da ist, braucht es noch Menschen, die die notwendigen Arbeiten ausführen. Aber nach 30 Jahren neoliberaler Nullrunden bei Lohnerhöhungen klagt das Handwerk über Nachwuchsprobleme. 2021 wurden 175.00 Handwerker:innen gesucht, die Zahl der Gesell:innenprüfungen geht seit Jahren zurück und so würde der Umbau der Infrastruktur auch dann stocken, wenn das Material vorhanden wäre (1|2).

Als wäre das nicht schon genug, kam dann auch noch der Ukraine-Krieg. Die Grünen waren sich (diesmal zurecht) sehr sicher, dass es sich lohnt, der russischen Kriegstreiberei entgegenzutreten. Allerdings waren sie nicht bereit, dafür den Kapitalismus über die Klinge springen zu lassen. So wichtig ist die Ukraine nun auch wieder nicht. Es braucht also Öl und Gas aus anderen Quellen, um die Nachfrage bei der deutschen Industrie auch in Zukunft noch befriedigen zu können.

Bundeswirtschaftsminister Habeck hat diese Quellen gefunden – Deutschland bezieht das Gas jetzt einfach von anderen Autokratien mit problematischer Menschenrechtssituation statt von der russischen. Denn auch hier gilt: So wichtig den Grünen die Sache mit den Menschenrechten ist, viel wichtiger ist die Aufrechterhaltung der Energieflüsse für die deutsche Wirtschaft. 

Vor die Entscheidung gestellt, ob sie angesichts der sich zuspitzenden Situation im Frühjahr 2022 wahlweise den Kapitalismus (in Form der deutschen Wirtschaft) oder den Kampf gegen die Klimakrise und die Menschenrechtsverletzungen in autokratischen Weltregionen über die Klinge springen lassen wollen, haben die Grünen keine Sekunde gezögert. Sie haben sich (ohne wahrnehmbare Widerstände an der Basis) für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Lebensweise und gegen die ernstzunehmende Bekämpfung der Klimakrise entschieden.

Denn obwohl offensichtlich ist, dass wir durch die kapitalistische Ökonomie nicht nur erpressbar sind (weil wir den Energiehunger der Wirtschaft füttern müssen) und der Markt es dann ganz offensichtlich noch nicht einmal schafft, die Ressourcen vor Ort pünktlich abzuliefern, führt das nun bei den Grünen in der Regierung nicht zu der notwendigen Einsicht, dass es wohl doch auch hier und da vielleicht doch Probleme gibt, wenn der Markt die Sache regelt.

Stattdessen ist die Partei (mehrheitlich) fest entschlossen, den Kapitalismus zu retten. Auch wenn es am Ende den Planeten kosten sollte. Der Glaube an die Segen bringenden Wirkungen des Marktes scheint hier derart ausgeprägt, dass eine Welt ohne Kapitalismus einfach nicht mehr vorstellbar erscheint.

Die hoffnungslose Generation

Diese Entwicklung lässt die Klimaaktivist:innen mehr und mehr ratlos zurück. Sie haben sich doch an alles gehalten, was sie immer im Sozialkundeunterricht gelernt haben. Sie haben Demonstrationen gemacht (und sie sogar regelmäßig angemeldet), sie haben Leser:innenbriefe geschrieben und die Politik freundlich auf die Gefahren der ökologischen Krisen hingewiesen. Die eine Hälfte der Politik hat sofort abgewinkt – ganz ernsthaft die Verletzbarkeit des Planeten und der auf ihm lebenden Menschen zu berücksichtigen, erschien ihnen als unvereinbar mit der vorherrschenden Lebensform. Von der CDU und der AfD war also von vornherein nicht viel zu erwarten. Die Grünen hingegen standen für das Versprechen, den ökologischen Wunsch auf einen lebenswerten Planeten mit den Prinzipien der ökonomischen Rationalität zu verbinden. Immerhin (oder auch: umso besser), werden sich einige gedacht haben. Und haben bei der “Klimawahl” darauf vertraut oder zumindest doch gehofft, das die Grünen es richten werden.

Nun stellen sie aber fest, dass den Grünen im Zweifel die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Wirtschaftsweise wichtiger ist als die Rettung des Planeten. Was also sollen sie tun? Dass das Schreiben von Leser:innenbriefen und das Veranstalten von Massendemonstrationen nichts austrägt, wurde ihnen ja gerade sehr deutlich vor Augen geführt.

Und so ist es auch kein Wunder, dass sich die Praxis weiter Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung in dem Moment radikalisiert hat, als das Scheitern einer grünen Bundesregierung absehbar wurde. Das war noch im Bundestagswahlkampf (den die Grünen mit einem Wahlprogramm bestritten hatten, anhand dessen angesehene ökologische Institute ausgerechnet hatten, dass die damit verbundenen Maßnahmen nicht ausreichen würden, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen), als einige Aktivist:innen der Letzten Generation in den Hungerstreik traten.In den folgenden Monaten radikalisierten sich die Proteste Schritt für Schritt. Straßenblockaden wurden von Ankettaktionen abgelöst und es ist in Mode gekommen, ausgewählte Artefakte in diversen Museen symbolischen Attacken auszusetzen.

Dabei machen sie es ihren selbstgerechten Kritiker:innen in keinem der Fälle recht. Blockieren sie die Straße, werden sie für alles verantwortlich gemacht, was im weiteren Umfeld noch so alles passiert. Als in Berlin eine Radfahrer:in nach einem Unfall verstarb, gab es einen Aufruhr von Empörung. An dem Stau, in dem auch ein rettungstechnisches Fahrzeug der Feuerwehr gesichtet wurde, könne ja nur die Aktion der Klimaaktivist:innen schuld sein. Als das Unfallopfer verstarb, versuchten nicht wenige, ihnen die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Da spielte es dann auch keine Rolle mehr, dass selbst die Notärztin sagte, das Fahrzeug im Stau sei gar nicht benötigt worden und hätte in der Situation vor Ort gar nicht helfen können. Die politische Öffentlichkeit fiel umgehend (und zwar inklusive genau der Bundesregierung, die gerade vor den Klimazielen kapituliert hat) über die Aktivist:innen her.

Bezeichnend war und ist dabei, dass es die Verkehrslage in Berlin auch ganz ohne Protestaktionen schafft, regelmäßig Staus zu verursachen. Das liegt am nicht nur in der Hauptstadt vorherrschenden Automobilismus. Statt auf ein ausgebautes und bequemes Nahverkehrsnetz zu setzen, sitzen die Menschen vereinzelt in ihren Automobilen. Das führt zu Staus und Unfällen. Beides ließe sich durch eine andere Verkehrspolitik beheben. doch statt sich dafür einzusetzen, schimpft die Republik auf ein paar Aktivist:innen, die für all das wohl am wenigsten können.

Da sollte man meinen, der öffentlichen Meinung käme es entgegen, wenn stattdessen symbolische Proteste jenseits vielbefahrener Straßen stattfinden. Wenn sich Aktivist:innen in Museen an Kunstwerken festketten, ist schließlich weder der Ablauf der wirtschaftlichen Prozesse im Land gefährdet noch die körperliche Unversehrtheit der Museumsbesucher:innen. Doch auch hier verwandelt sich die Öffentlichkeit umgehend in ein Volk von Kunstliebhaber:innen, dem der Schutz des wertvollen “Kulturguts” wichtiger zu sein scheint als der Erhalt einer lebenswerten Umwelt.

Die Art und Weise, wie von den Aktivist:innen politische Symbole gewählt werden, mag man merkwürdig und wenig zufriedenstellend finden. Aber viel bleibt ihnen ja auch nicht mehr übrig. Während die Politik den Planeten bereits aufgegeben zu haben scheint, halten sie noch daran fest, dass es sich lohnen könnte, um eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen. Das ist eine Haltung, von der sich die “Ja, aber”-Mahner:innen der deutschen Zivilgesellschaft ein gutes Stück abschauen könnten.

Die zwei Formen der Radikalisierung: Aktionismus und Systemkritik

Was im Kontext der aktuellen, sich in Bezug auf die Aktionsformen radikalisierenden Proteste auffällt, ist die verwunderliche Diskrepanz von Form und Inhalt. Da schmeißen sich junge Leute selbstlos auf die Straße, Ketten sich an Brücken oder an gut bewachten Kunstwerken fest – und das alles nur für ein paar lumpige reformistische Forderungen. Auch wenn die Aktionsformen immer drastischer zu werden scheinen, die Inhalte und politischen Forderungen sind doch verhältnismäßig zahm. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung hier, eine umfassendere gesetzliche Regelung zur Verhinderung von Lebensmittelverschwendung dort. Schon der Hungerstreik vor der Bundestagswahl wollte nicht mehr bewirken als ein öffentlichkeitswirksames Gespräch der Aktivist:innen mit den Spitzenkandidat:innen der großen Parteien.

Es gibt da ein auffälliges Missverhältnis von einer sich radikalisierenden Aktionsform und überraschend braven politischen Forderungen. Da geht es in keinster Weise “ums Ganze” (wie mensch aufgrund der Entschlossenheit der Aktivist:innen vielleicht annehmen könnte) und da wird auch nicht die (für die Lösung der Klimakrise notwendige) Abschaffung der kapitalistischen Verkehrsverhältnisse gefordert. 

Und schon diese kleinen Schritte scheinen für die politischen Entscheidungsträger:innen eine schier unüberwindliche Herausforderung darzustellen. So unüberwindlich, dass sie sich lieber auf die Seiten derer Stellen, die den Protest in Terrorismus umzudeuten versuchen.

So verständlich die aktivistische Radikalisierung sein mag und so sehr sie Empörung generiert und Aufmerksamkeit auf die Aktionsform lenkt – so wenig schaffen es die gewählten Aktionsformen allerdings, gesellschaftspolitischen Druck zu erzeugen. Sie bleiben leer, weil sie nicht plausibel erscheinen. Wer Minimalanforderungen mit stetig radikalisierenden Aktionsformen einfordert, macht sich angesichts der realen Herausforderungen einer klimagerechten Transformation einigermaßen unglaubwürdig. 

Für die Aktivist:innen wird es derweil Zeit, den bislang fehlenden Schritt nachzuholen und auch inhaltlich weiter aufzugreifen. Dass sich mit dem Kapitalismus kaum etwas wirksames gegen die Klimakrise ausrichten lässt, ja dass seine Mechanismen (die allseitige Konkurrenz, die Vereinzelung der Menschen und die Anonymisierung der Entscheidungsfindung am Markt, der unbändige Energiehunger der Industrie) diese überhaupt erst herbeigeführt haben, ist offensichtlich. Es wird Zeit, das auch in den eigenen Forderungen deutlich werden zu lassen.

Damit könnte auch einem anderen Problem der Debatte abgeholfen werden: der Fixierung der Diskussion auf den eigenen Nationalstaat. Es wird ja immer offensichtlicher, dass die globalisierte Warenproduktion mit Zwängen einhergeht, die dann die einzelnen Volkswirtschaften unter Druck setzen und ihnen Handlungsspielräume abschneiden. In anderen Worten: Die nationalstaatliche Aufteilung der Welt, wie sie für die kapitalistische Moderne kennzeichnend ist, ist für die Lösung der Klimakrise ganz offensichtlich keine angemessene Organisationsform. Auch sie wäre im Zuge einer Radikalisierung der Kritik zu hinterfragen. 

Das eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten der Bündnispolitik, wenn es um die Thematisierung von Klimagerechtigkeit in Bezug auf den Globalen Süden geht. Denn gerade hier ist ja offensichtlich, das im Rahmen einer ökonomischen Nationalstaatskonkurrenz die Regierungen des Globalen Nordens die notwendigen Einschränkungen kaum akzeptieren können, wenn sie nicht ihrer eigenen Rolle im globalen Wettbewerb verlustig gehen wollen. Gleichzeitig ergeben sich Bündnisoptionen mit klimabewegten Aktivist:innen in anderen Teilen der Welt. Diese können derzeit nur begrenzt wirksam werden, weil die deutsche Klimabewegung sich lebenspraktisch und ideologisch an den “Standort Deutschland” bindet. Erst wenn wir über den bornierten nationalstaatlichen Standpunkt hinausgehen, können wir auch diese Hindernisse für eine globale Widerstandsbewegung gegen die Zerstörung der Welt durch das Kapital überwinden.

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