Wolfgang Streeck
Wolfgang Streeck (2017) Quelle: flickr

Starker Nationalstaat: Wolfgang Streecks Krisenlösung

Der (mittlerweile emeritierte) Soziologe Wofgang Streeck hat erneut ein vermeintlich emanzipatorisches, aber faktisch eher rechtsdrehendes Machwerk in die Welt gesetzt: Einen 538-Seiten-Wälzer mit dem Namen „Zwischen Globalismus und Demokratie“. Ungewollt zeigt es, wohin es führt, wenn man Staat und Wirtschaft einander gegenüberstellt: Zum „Nationalstaat”, dem Streeck offenbar zu neuen Ehren verhelfen will. Darin ähnelt das Buch seinem Vorgänger „Gekaufte Zeit“.

In den 1970er/80er-Jahren geriet die große fordistische Prosperitätsphase des Kapitalismus in die Krise. Wolfgang Streeck interpretiert diese Krise im Kern als eine Verteilungskrise, die durch den Neoliberalismus ausgelöst worden sei. Aus dieser Verteilungskrise (d.h. einer Umverteilung gesellschaftlichen Reichtum von arm zu reich) resultiere dann eine Unterkonsumtionskrise. Weil also die neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik die soziale Schere zwischen arm und reich vergrößert, haben die Leute mit kleinen Einkommen am Ende kein Geld mehr, um die produzierten Waren zu kaufen. Sie konsumieren zu wenig – und daraus entsteht laut Streeck dann eine ökonomische Krise, die passenderweite oft als Unterkonsumtionskrise bezeichnet wird.

Diese entstehe, weil Löhne und Sozialleistungen im Rahmen der neoliberalen Politik gekürzt worden seien und es seitdem an Massenkaufkraft fehle. Hinzu kommt laut Streeck die Globalisierung, die den Unternehmen zusätzliche Macht verliehen habe. Um dies politisch zu managen, haben sich die Staaten verschuldet. Gleichzeitig wurden auch die Privatleute zur Verschuldung gezwungen, um die Kaufkraft auszugleichen.

Diese Verschuldung ist es, die er als „Gekaufte Zeit“ bezeichnet: Zeit, die es erlaubt, die (Unterkonsumtions-)Krise aufzuschieben und die es der politischen Klasse ermöglicht, sich Zustimmung zu kaufen. Auf Dauer könne das aber nicht gut gehen, weil die Verschuldung an ihre Grenzen stößt und Finanzkrisen auslöst.

Es gibt hier zwar Parallelen zur wertkritischen Krisenanalyse, doch die sind sehr oberflächlich. Das wird schon daran deutlich, dass für wertkritische Zeitdiagnosen der Neoliberalismus nicht der Auslöser der Krise in den 1970ern darstellt, sondern lediglich die Reaktion auf einen tieferliegenden Krisenprozess. Dieser verweist auf die innere Schranke der kapitalistischen Verwertung, die die gesamte postfordistische Epoche seit dieser Zeit prägt.

Doch für Streeck haben die Krisen einen politischen Charakter und resultieren aus dem (falschen) Verhalten von Politiker*innen. Deshalb ist die “Lösung” für ihn auch eine politische. Und da die Politik eben immer noch überwiegend nationalstaatlich organisiert ist und über demokratische Legitimationsprozesse an den Nationalstaat geknüpft ist, liegt für ihn die Forderung nahe, sich wieder auf diesen politischen Raum zu konzentrieren.

Deshalb, so die Argumentation, soll die Globalisierung zurückgefahren und die EU zurückgedrängt, wenn nicht gar verlassen werden. Das Ganze kann dann auch noch unter die Überschrift gestellt werden: Die Demokratie retten. Denn die Demokratie wurde, so Streecks Annahme, von den Konzernen untergraben, damit diese freie Hand auf dem Weltmarkt haben.

So gesehen folgt seine Analyse durchaus einer stimmigen inneren Logik. Und sie stimmt weitgehend überein mit dem, was Sarah Wagenknecht und andere Linkspopulist*innen sagen. Übrigens ist diese Art der Krisenanalyse in der Linken seit 2008/2009 weit verbreitet. Sie wird von reflektierteren Theoretiker*innen wie Thomas Sablowski ebenso vorgebracht wie von leninistischen und trotzkistischen Linken.

Diese Position erscheint insofern als theoretischer Fortschritt, da bis vor 2008 die Krise ja grundsätzlich geleugnet wurde. Aber letztlich handelt es sich bei dieser Argumentation um ein Ausweichmanöver, das dem empirischen Verlauf der Krise irgendwie Rechnung trägt und es gleichzeitig erlaubt, am althergebrachten Politizismus festzuhalten. Die einen lösen das dann in Richtung Volk und Nation auf (wie Sarah Wagenknecht und Wolfgang Streeck), die anderen eher in Richtung Klassenkampf (wie Christian Zeller). Allein um diese Differenz geht es letztlich, wenn traditionelle Linke die von Sarah Wagenknecht vorgetragene Position kritisieren.

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