Sieht gut aus, schreibt aber manchmal Unsinn: Armin Nassehi Wikicommons

Nassehi beweist, dass wir den Kapitalismus überwinden müssen!

Gerade macht das Feuilleton der großen Zeitungen ziemliches Aufheben über eine Neuerscheinung des Systemtheoretikers Armin Nassehi. Umfangreiche Rezensionen finden sich in der Tageszeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit. Denn der nimmt sich eine Frage vor, die sich angesichts der politischen Situation aufdrängt: einerseits ist sehr offensichtlich, dass viel geschehen muss um den Herausforderungen der Zeit gewachsen zu sein. Andererseits passiert nichts. Oder so gut wie nichts. Wie kommt das?

Nassehi findet die Antwort auf diese Frage in der Luhmannschen Systemtheorie: die Gesellschaft ist komplex, so komplex, dass sie sich einfachen und schnellen Lösungen verwehrt. Das ist halt so in der kapitalistischen Moderne, da können wir nichts machen. Es hilft alles nichts: wir müssen unsere Ansprüche runterschrauben (und etwa die auf eine menschenwürdige Umwelt über Bord werfen) und statt auf große Veränderungen auf einen Politik der kleinen Schritte hoffen. Daran, so Nassehi, könne auch das „Unbehagen“ nichts ändern, dass die Bürger:innen angesichts der eingangs beschriebenen Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit moderner Gesellschaften überkomme.

Die von Nassehi vorgestellte Position ist nicht besonders originell, aber immerhin eine adäquate Übersetzung der Soziologie von Niklas Luhmann auf die Epoche der Klimakrise. Gegenüber den bisherigen Strategien konservativer Klimapolitik markiert die Position von Nassehi zudem eine kreative Wendung der konservativen Haltung zur ökologischen Frage. Denn er erkennt einerseits die Problemdimension an, negiert aber andererseits jede gesellschaftliche Handlungsmöglichkeit. Gerade deshalb zeigt sich an seiner Position zudem, wie dringend notwendig ein kategorialer Bruch mit der herrschenden Organisation des gesellschaftlichen Miteinanders ist.

Lukács vs Luhmann

Darauf, dass das durchaus möglich ist, hat der Sozialphilosoph Georg Lukács bereits vor etwa 100 Jahren hingewiesen. Als er die Marx‘sche Konzeption der kapitalistischen Gesellschaft mit den Analyseversuchen anderer zeitgenössischer Intellektueller in Beziehung setzte, kam er an zentraler Stelle auf funktionale Aufteilung unterschiedlicher Aspekte dieser Gesellschaft zu sprechen. Da Teile des zusammengehörigen Ganzen in unterschiedliche Verantwortlichkeiten abgegeben werden (an die Politik, das Rechtssystem, die Wirtschaft, die Kirche etc.) erwecke das Ganze dieser Gesellschaft den Eindruck einer furchtbar komplexen, kaum durchschaubaren Maschine. Er schrieb:

Aus dieser ökonomischen Struktur einer ,rein‘ kapitalistischen Gesellschaft (…) folgt, daß die verschiedenen Momente des gesellschaftlichen Aufbaues sich gegeneinander verselbständigen und als solche bewußt werden können und müssen. Der große Aufschwung der theoretischen Wissenschaften am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die klassische Ökonomie in England und die klassische Philosophie in Deutschland bezeichnen das Bewußtsein der Selbständigkeit dieser Teilsysteme, dieser Momente des Aufbaues und der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Ökonomie, Recht und Staat erscheinen hier als in sich geschlossene Systeme, die aus eigener Machtvollkommenheit, mit eigener, ihnen innewohnender Gesetzmäßigkeit die ganze Gesellschaft beherrschen.

Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewusstsein

Jeder Wunsch auf Veränderung, so argumentierte Lukacs mit Marx, könne auf diese Weise als utopisches Wunschdenken delegitimiert werden.

Daran stimmt sicherlich das Eine: innerhalb der herrschenden Verkehrsformen ist eine Lösung der Klimakrise nicht möglich. Wer ihr Einhalt gebieten will, wird nicht umhinkommen, mit der zentralen Vergesellschaftungsform der kapitalistischen Moderne zu brechen.

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