Der Koalitionsvertrag belegt: Aus der Politik ist kein großer Wurf im Kampf gegen den Klimawandel zu erwarten. Gerade die Grünen hinken den eigenen Ansprüchen weit hinterher. Und trotzdem ist es nicht egal, wer die Regierung stellt.
von Lothar Galow-Bergemann
Die Ampelregierung wird voraussichtlich einige wichtige Verbesserungen einführen, so die längst überfällige Abschaffung des Transsexuellengesetzes und des Informationsverbots für Ärzt*innen über Schwangerschaftsabbrüche (§219a StGB). Ebenso sind Liberalisierungen im Familien-, Abstammungs- und Staatsbürgerschaftsrecht zu erwarten. Dies alles ist bedeutsam und sicher haben die Grünen wichtigen Anteil daran. Es ist also überhaupt nicht egal, wer regiert und in welche Richtung die Spielräume, die Politik hat, genutzt werden.
Bei existentiellen Zukunftsfragen sind die Spielräume allerdings deutlich geringer. Denn wir sind Gefangene einer Wirtschaftsweise, deren Lebenselixier ewiges Wachstum, steigende Aktienkurse und permanente Geldvermehrung ist. Sie bringt multiple Krisen hervor, die mit ihren eigenen Mitteln nicht gelöst werden können. Klima, Corona, Wohnen, Renten, Migration, wo soll man aufhören aufzuzählen?
Fast alle Parteien versprechen mittlerweile einen grünen Kapitalismus, sie nennen das vorzugsweise „ökologische Marktwirtschaft“. Das ist schon lange kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen mehr. Trotzdem werden sie weitaus mehr als jede andere politische Kraft mit diesem Versprechen identifiziert. Das ist ein ganz besonderes Pech für die Partei. Denn wenn die Illusionen über den grünen Kapitalismus platzen – und das werden sie – bleibt das an niemandem so sehr hängen wie an den Grünen.
Nicht wenige bei den Grünen und ihrem Umfeld haben auf folgendes Szenario gehofft: Die Umfragewerte, die die Grünen kurzzeitig als stärkste Partei sahen, hätten sich stabilisiert. Die Grünen hätten die Kanzlerin in einer Grün-Rot-Roten Bundesregierung gestellt und – jetzt kommt das Wichtigste – die Klimaschutzbewegung hätte deswegen nicht etwa die Hände in den Schoß gelegt, sondern ganz im Gegenteil nun erst recht aufgedreht und weiter an Breite und Einfluss genommen. Vielleicht hätte sie eine solche Regierung ein Stück weit in eine bessere Richtung vor sich her treiben können.
Als der Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall im Sommer das Programm der Grünen als „Sozialismus pur“ bezeichnete, hat er das natürlich selbst nicht geglaubt. (Welt online 18.06.21) Aber sein Alarmismus gab einen Hinweis auf die kurzzeitige Angst in „bestimmten Kreisen“ vor einem solchen Szenario.
Doch der Traum ist geplatzt. Das Wahlergebnis war eine krachende Niederlage für die Grünen. Nun sitzen sie in der Falle. Sie können es sich schlicht nicht leisten, diesmal diejenigen zu sein, die „lieber nicht regieren als schlecht regieren“ wollen. Dafür sind sie schon lange viel zu staatstragend und in den Politikbetrieb integriert.
„So richtig Freude kommt nur bei der FDP auf“ kommentierte die FAZ (25.11.21). Richtig. Welches Problem sollte die Partei des offen zur Schau getragenen Ellenbogenegoismus auch haben? Sie redet sich die Welt schon immer mit Ideologie schön und bedient ansonsten nach Kräften ihre Klientel.
Die Grünen haben es da wesentlich schwerer. Denn sie und ihre Anhängerschaft treibt der Wunsch nach einer humanen, menschen- und naturverträglichen Welt an. Die Unmöglichkeit, diese Ziele im Rahmen der Marktwirtschaft zu erreichen, muss sie früher oder später zerreißen. Das Echo der Klimaschutzbewegung auf den Koalitionsvertrag ist eindeutig negativ. Mit guten Gründen.
Nicht nur, dass die Grünen als Partei mit dem zweitbesten Wahlergebnis weder das Finanzministerium noch das Verkehrsministerium erhalten – beide gehen auch noch ausgerechnet an gelbe Kapitalismusextremisten. Die Grünen werden vorgeführt. Schon bevor das Regieren losgeht.
Veto für die Finanzen, kein Veto fürs Klima – so ließe sich Kapitalismus auch beschreiben. Und der zukünftige FDP-Verkehrsminister macht schon vor der Kanzlerwahl in eindeutig provokativer Absicht eben mal einen auf „Ich will Spaß, ich geb Gas“. Und die SPD setzt noch einen drauf: „Keine Steuererhöhung für Dieselkraftstoff.“ Die Grünen dürfen sich so gleich schon mal an das gewöhnen, was ihnen in den nächsten Jahren bevorsteht. In Lindners Worten: „Zwar setzt sich diese Regierung ambitionierte Ziele, aber sie verschafft sich gleichzeitig die Legitimation für die im Regierungshandeln unvermeidliche Anpassung an die Wirklichkeit.“ (24.11. bei Sandra Maischberger)
Scholz und Lindner werden die Grünen (und übrigens auch die Jusos) am Nasenring durch die Manege führen. Die werden immer wieder vor dem Problem stehen, doch „ihre eigene Regierung“ nicht stürzen zu können und deswegen Kröte um Kröte schlucken müssen. Die Aussichten für FDP und SPD, eine derart in der Falle sitzende grüne Partei dezimieren und sich so lästiger politischer Konkurrenz entledigen zu können, sind nicht gering.
Es ist zu befürchten, dass es zum Drama für die Grünen wird. Helfen könnte da nur noch eine Klimaschutzbewegung, die so stark wird, dass sie die Partei zu re-radikalisieren vermag. Ob das gelingen kann, steht in den Sternen.