(Schöne) neue Arbeit - (schöne) neue VUKA-Welt? Bild: Ron Lach

Schöne neue (VUKA-)Welt

Die Veränderungen in der Arbeitswelt sind enorm. Die Digitalisierung schreitet voran, die Rede ist von den Herausforderungen der Arbeit 4.0. Neue Konzepte, die in der Management-Literatur diskutiert werden, verweisen nicht nur auf eine neue Epoche in der Ökonomie. Sie machen zudem deutlich, dass die Wirtschaft grundlegend nicht mehr rund läuft.

Mit dem Begriff Arbeit 4.0 wird darauf angespielt, dass die Arbeitswelt sich im Zuge der kapitalistischen Entwicklung nunmehr bereits das vierte Mal rasant umstrukturiert. Dabei wird diese viermalige Transformation der Arbeitswelt jeweils an eine Phase der technischen bzw. arbeitsorganisatorischen Entwicklung gekoppelt. 

Das Ergebnis der ersten industriellen Revolution war die Industrie 1.0, die im wesentlichen durch die Dampfmaschinen geprägt war (datiert etwa auf das 19. Jahrhundert). Das Ergebnis der zweiten industriellen Revolution war die Industrie 2.0, die auf der Einführung der Fließbandarbeit und der Nutzung elektrischer Energie beruhte (als Beginn dieser Phase gilt für gewöhnlich die Einführung der Fließbandarbeit bei der Ford Motor Company 1913). An die von Ford erstmals durchgesetzte Fließbandarbeit lehnt sich dann auch die Bezeichnung Fordismus an, der die ganze Epoche bis in die 1970er-Jahre auf den Begriff zu bringen versucht.

Die dritte industrielle Revolution schließlich brachte den Durchbruch der Roboter- und Computertechnik (Industrie 3.0) und nahm seit den 1970er Jahren ihren Lauf. Die Digitalisierung gilt nun als 4. industrielle Revolution und bezeichnet die zunehmende nicht nur der Einführung einer neuen Hardware, sondern die zunehmende Organisierung der Produktion um ein miteinander vernetztes, selbstlernendes digitales System. Es geht also um die Bedeutung von Smartphones und Laptops, von Apps und Internet-Anwendungen für die (post-)moderne Lebenswelt und Ökonomie.

Ihren Ausgangspunkt, so lesen wir von interessierter Seite, finden die ökonomischen Transformationen in neuen ökonomischen Herausforderungen, die Wahlweise als  „Three C’s of Postnormal Times“ oder als eine Vuka-Welt bezeichnet werden. Was damit gemeint ist, wollen wir uns im Folgenden ansehen.

3 C’s of postnormal times

Die drei C, das sind complexity (Unübersichtlichkeit) chaos (Durcheinander) und contradictions (Widersprüche oder Gegensätze). Das sich die Epoche, der sie angehören, als „postnormal“ adressiert wird, hebt die zentrale Botschaft noch einmal hervor. „Normal“ gibt es nicht mehr. Die Normalitätsstandards und die Selbstverständlichkeiten, die in der fordistischen Epoche des Kapitalismus noch galten, sind ein für alle mal fortgewischt. 

Im Fordismus galt Übersichtlichkeit als zentraler Wert. Firmen waren übersichtlich gegliedert, waren durch klare Ordnungskriterien gekennzeichnet und diese hatten eindeutige Handlungskriterien zur Folge. Es gab eine klare Hierarchie, eindeutige und zumeist sogar nachvollziehbare Eigentumsverhältnisse. Arbeitsabläufe sollten sich an festen Regeln, an Arbeitsvorschriften orientieren. Und diese waren nach (oft wissenschaftlich durchdachten) rationalen, vernunftorientierten Kriterien angeordnet. 

Damit ist in postnormalen Zeiten jedoch Schluss. Die Verhältnisse werden zunehmend unübersichtlich. Bislang selbstverständliche Ordnungen und Eindeutigkeiten werden durcheinandergebracht. Regelhaftes Verhalten wird zunehmend verunmöglicht, weil die Regeln  entweder nicht mehr deutlich erkenn- und verstehbar sind, oder weil sie sich widersprechen.

Die VUKA-Welt

Vuka ist ein Akrononym und bezieht sich auf die Anfangsbuchstaben der vier Begriffe, die die moderne Arbeits- und Lebenswelt ganz zentral prägen. Diese Welt ist nämlich geprägt von

… volatility (Volatilität)

… uncertainty (Ungewissheit)

… complexity (Komplexität)

… ambiguity (Ambiguität, Mehrdeutigkeit)

Was ist damit gemeint? Erich R. Unkrig schreibt:

Volatilität beschreibt die meist schnelle Veränderungsrate und das Muster der Dynamik, das in sozioökologischen Systemen zu beobachten ist. Im heutigen Kontext könnte sie starke Schwankungen der makroökonomischen Bedingungen, der Finanzmärkte und der Rohstoffpreise sowie extreme Umweltbelastungen für unsere Welt beschreiben. Bis vor wenigen Jahren noch basierten viele Wissenschafts- und Geschäftsmodelle auf statischen Prinzipien.

Erich R. Unkrig : VUKA – Imperativ unserer Welt

Tatsächlich war die Zeit des Fordismus durch eine gewisse Stabilität geprägt. Ökonomisch gab es weitgehend unbespielte Märkte und viel zu verkaufen. So beispielsweise das Modell T von Ford. Es gab ein stetiges Wirtschaftswachstum, das sich zwar von Jahr zu Jahr leicht verändern, aber das grundsätzlich eingeplant werden konnte. Arbeitnehmer*innen konnten sich darauf einstellen, das sich ihre betriebliche Praxis und erst recht ihr Arbeitsort über einen langen Zeitraum nicht verändern werden. Auch die Eigentumsverhältnisse waren einigermaßen stabil. Übernahmen waren möglich, aber nicht an der Tagesordnung. In einem stetig wachsenden Markt galt es, sich möglichst große Anteile von einem stetig wachsenden Kuchen zu sichern. Die Aktienkurse der meisten Aktien etwa stiegen zwar vergleichsweise langsam, aber doch stetig. Dieser Trend wurde von explodierenden Aktienkurse einerseits und tiefen Krisen mit veritablen Kurseinbrüchen andererseits abgelöst. Diese Selbstverständlichkeit (und auch die mit ihr einhergehende relative Ruhe) ist dahin.

Der Mangel an Berechenbarkeit, unkontrollierbar auftretende Entwicklungen und ein limitiertes Bewusstsein sowie fehlendes  Verständnis für Zusammenhänge,  Themen und Ereignisse führen zu Unsicherheit.

Erich R. Unkrig : VUKA – Imperativ unserer Welt

Ein zentrales Kriterium der aufgeklärten Vernunft und der betriebswirtschaftlichen Logik steht mit VUKA also in Frage: die Berechenbarkeit der Produktionsprozesse. Als Ursachen für diese Unsicherheit wird in der einschlägigen Literatur die Schwierigkeit benannt, den neuen vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden. Gerade weil es nicht mehr berechenbar ist und die Orientierung des Handelns an einer eindeutigen Interessenkonstellation schwieriger wird, ist ein zentraler Mechanismus blockiert, mit dem die kapitalistische Moderne auf die Unsicherheit reagiert, die in einer Gesellschaft von vereinzelten, in Konkurrenz zueinander stehenden Individuen einen zentralen sozialpsychologischen Mechanismus darstellt.

Mit zunehmender Komplexität soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die entscheidungsrelevanten Faktoren nicht nur zunehmen, sondern sich hin und wieder auch widersprechen, teilweise unbekannt sind, sich ständig verändern und bisweilen nicht einmal bekannt sind. Insofern Ist Komplexität in gewisser Weise die Folge der übrigen drei Kriterien der VUKA-Welt.

Ambiguität, d. h. die Mehrdeutigkeit sozialer Situationen und Entwicklungen, stellt den vierten Bestandteil der VUKA-Welt dar. 

Er bezieht sich auf die Unschärfe der Realität, das Potenzial für Fehlinterpretationen, die unterschiedliche Deutung von Bedingungen und  die verschiedenen möglichen Ergebnisse von Handlungen.  Denn: Die Realität ist oft unverständlich und nicht (mehr) planbar.  Was in der Zukunft Relevanz haben könnte, ist ungewiss, mehrdeutig und kaum vorhersehbar.

Erich R. Unkrig : VUKA – Imperativ unserer Welt

In der VUKA-Welt schlägt die „neue Unübersichtlichkeit“ zu, auf die bereits Jürgen Habermas hingewiesen hat.

VUKA als Krisendiagnose

Ihrem Selbstverständnis nach beschreibt VUKA nur eine Epoche innerhalb der modernen, kapitalistischen Gesellschaft. Doch schnell wird klar, dass mit ihrer so ziemlich alles in Frage gestellt wird, wofür die Moderne ursprünglich mal stand. Das wird bereits deutlich, wenn wir uns ansehen, woher der Begriff ursprünglich stammt – nämlich aus der Militärtheorie. So bemerkt etwa Erich R. Unkrig lapidar:

Als Begriff wurde VUKA bereits vor rund 30 Jahren vom U. S. Army War College zur Beschreibung der politischen Situation nach dem Zerfall der Sowjetunion kreiert.

Der Begriff wurde also eingeführt in einer militärstrategischen Situation, in der klassische Strategien (geprägt durch klare Befehlsketten, eindeutige Freund-Feind-Schemata, überschaubare Krisenherde etc.) der Militärorganisation an ihre Grenzen kamen. 

Das gilt ganz ähnlich auch für die betriebswirtschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Auch hier funktionieren die klassischen Strategien nicht mehr und erfordern eine Ausrichtung des unternehmerischen Handelns an neuen Strategien. Was auf den ersten Blick aussieht wie die Ablösung einer unternehmerischen Strategie durch eine neue, stellt bei genauerem Hinsehen einen viel fundamentaleren Bruch dar. Denn die vielen Unsicherheiten und Unklarheiten, auf die die VUKA-Theorie reagieren will, sind die Folge einer veränderten ökonomischen Situation.

Die Wachstumsmärkte, die die Aufstiegsphase des Kapitalismus gekennzeichnet haben, sind weitgehend abgegrast. Schmaler werdende Gewinnmargen und die Verschiebung der Generierung von Gewinnen weg von der Produktion und hin zur Akkumulation von Zukunftserwartungen machen die Neuorientierung der betrieblichen Arbeitsorganisation notwendig. Was zunächst einfach als heißer, neuer Shit der Unternehmensphilosophie erscheint stellt sich so als bloße Reaktion auf veränderte Akkumulationsbedingungen des Kapitals heraus.

Ein Kommentar

  1. Sehr aufschlussreich.
    „Als Begriff wurde VUKA bereits vor rund 30 Jahren vom U. S. Army War College zur Beschreibung der politischen Situation nach dem Zerfall der Sowjetunion kreiert.“
    Der Begriff der ‚Neuen Unübersichtlichkeit‘ von Habermas kam ebenfalls anfangs der neunziger Jahre ans Licht der Welt.
    Regressive Tendenzen wie Rechtspopulismus usw. müsste man mal daran spiegeln. Das ist möglicherweise die falsche Reaktion auf die schöne neue (Vuka-)Welt.
    Grüße
    Wilfried

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