Schwarz und Weiß: Grundlegende Kategorien in der Welt von Mittelerde. Quelle: Unsplash

Identitätspolitische Faulheit

Die Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ setzt in ihrer Besetzung auf Diversität. Was gut gemeint ist, führt dazu, dass sich über alle Völker der Fantasywelt hinweg Figuren of color finden. Damit übergeht die Serie jedoch die rassistische Veranlagung des Stoffes. Denn die liegt nicht allein in der Verteilung der Hautfarben, sondern in der grundlegenden Konzeption von Gut und Böse.

Die Serie „Die Ringe der Macht“ bricht in Sachen Hautfarbe mit seinem Vorläufer „Der Herr der Ringe“ von Regisseur Peter Jackson, in dem keine Figuren aus dem BIPOC-Spektrum (Black, Indigenous, People of color) auftauchen. Dieser Bruch wird in einigen Medien heiß diskutiert. In der Bewertung lassen sich zwei Tendenzen ablesen. Richtig so, sagen die einen, denn auf diese Weise bilde die Serie die gesellschaftliche Realität ab, in der es Menschen unterschiedlicher Hautfarbe gibt. Auf der anderen Seite die erwartbare Empörung. Nicht nur, weil das Thema ohnehin ideologisch aufgeladen ist, sondern weil es sich um einen Bruch innerhalb der Diegese handelt, also eine Änderung der von Tolkien erdachten Welt.

Unbestreitbar ist, dass die Geschichten um den Herrn der Ringe anschlussfähig sind für rassifizierende Lesarten. Die Lebewesen von Mittelerde sind unterteilt in Spezies und diese jeweils in weitere Unterarten. So gibt es Menschen, Elben, Zwerge, Hobbits, Orks und viele weitere Arten, die sich nochmals unterteilen. Die Eigenschaften, die die einzelnen Geschöpfe auszeichnen, sind dabei in die Spezies selbst eingeschrieben. Ein Zwerg ist tüchtig und handwerklich begabt, nicht wegen seiner individuellen Persönlichkeitsentwicklung, sondern weil er ein Zwerg ist. Diese Form der Zuschreibung von Eigenschaften nennt man Naturalisierung oder Essenzialismus.

Wichtiger als die einzelnen Charakteristika, die den jeweiligen Arten zu eigen sind, ist jedoch ein grundlegendes Unterscheidungsmerkmal, das für alle Gattungen gilt: Sie sind entweder gut oder böse. Auch dieses Merkmal wird naturalisiert. Ein Ork ist böse, weil er ein Ork ist. Und nicht, weil er bestimmte Interessen verfolgt, die im Widerspruch zu den Interessen anderer Lebewesen stehen, potenziell auch zu den Interessen anderer Orks. Die Bosheit ist stattdessen Resultat einer natürlichen, objektiven Seinsweise. Dieser Sachverhalt zeichnet das ideologische Schema der Geschichte und ihrer Welt aus. (Mehr dazu in der ideologiekritischen Analyse von Wolfgang M. Schmitt.)

Dabei geraten die Guten, also die sogenannten freien Völker von Mittelerde, durchaus untereinander in Konflikte, die sich meist um die eigene Souveränität oder (verweigerte) gegenseitige Unterstützung drehen und die sich nicht immer zugunsten allseitiger Harmonie auflösen. Sind die Guten also überhaupt gut? In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden: Die einzelnen freien Völker stehen zuweilen in politischer Gegnerschaft zueinander; als Freie und Gleiche im Wettbewerb der partikularen Interessen, durchaus im Geiste des Liberalismus. Das Verhältnis der freien Völker zum Bösen liegt dagegen nicht auf einer politischen Ebene, sondern auf einer moralischen. Statt mit einer relativen Gegnerschaft haben wir es mit absoluter Feindschaft zu tun. Mit einem politischen Gegner kann man sich einig werden, Kompromisse lassen sich aushandeln. Für eine absolute Feindschaft auf der moralischen Ebene ist dies ausgeschlossen. Hier bleibt nur die Vernichtung. Das Böse ist die Negation des Guten und umgekehrt. Es lässt sich nicht erklären, warum das Böse böse ist, ohne in der leeren Negation zu landen oder sich auf die Tautologie zu stützen, das Böse sei böse, weil es böse ist. Sicher ist nur: Die gute universalistische Weltordnung muss sich gegen die böse universalistische Weltordnung durchsetzen. Sauron und seine Horden gehören vernichtet. Punkt.

Gut und Böse, Weiß und Schwarz

Gerade weil sich Gut und Böse (außer durch die wechselseitige Abgrenzung voneinander) nicht näher bestimmen lassen und somit abstrakt bleiben, sind sie auf einen Ausdruck angewiesen, d.h. auf eine Weise, wie etwa Bosheit konkret in Erscheinung treten kann. Einerseits geschieht das auf der Handlungsebene der Figuren, wenn eben gute und böse Geschöpfe aufeinandertreffen und sich gewaltsam bekämpfen. Andererseits sind Gut und Böse essenzielle Merkmale, die sich am besten als äußerliche Eigenschaften konkret zum Ausdruck bringen lassen. Als ein solcher Ausdruck fungieren die Farben Schwarz (für das Böse) und Weiß (für das Gute). 

Sauron, die Inkarnation des Bösen, trägt eine schwarze Rüstung. Das Zentrum seiner Macht bildet der dunkle Turm, seine Gesellen sind die schwarzen Reiter und schwarze Orks. Auch bei einzelnen Artefakten sticht die Farbe hervor, etwa bei den Palantiri oder schwarzen Schwertklingen. Das Gute dagegen tritt weiß in Erscheinung. Diese Farbe überwiegt bei den Elben, wodurch gerade sie im deutlichen Kontrast zu den Orks stehen. Gegenüber dem dunklen Turm steht die weiße Stadt Minas Tirith. Galadriels Phiole oder Frodos Mithril-Rüstung sind weiße Artefakte des Guten.

Gandalf wird erst im Verlauf der Geschichte zum weißen Zauberer, als sich Saruman dem Bösen zuwendet. Obwohl beide älter sind als die Welt selbst, können sie sich der moralischen Zuordnung nicht entziehen. Zwar wurden sie der Historie zufolge nach Mittelerde gesandt, um die Elben und Menschen im Kampf gegen Sauron zu unterstützen. Doch als wesensgleich zu Sauron stehen sie dem Guten wie dem Bösen strukturell offener gegenüber als andere Spezies. Saruman wendet sich letztlich zum Bösen, während er im Turm Orthanc aus schwarzem Gestein lebt. In der Folge verliert er den Beinamen „der Weiße“, den er jedoch nicht einfach an Gandalf abgibt. Denn dessen Figur, Gandalf der Graue, kann man anfangs noch als ambivalent begreifen, zumindest insofern, als er sich der Versuchung des Bösen in Form des Rings potenziell ausgeliefert sieht. In ihm muss das Gute erst zu sich selbst finden, indem er in einem geradezu christlichen Akt der Selbstaufopferung und Wiederauferstehung zur farblichen wie moralischen Reinheit gelangt.

Wo die Farben Schwarz und Weiß für die Erzählung eine symbolische Bedeutung erhalten, da stellen sie sich in der Erzählung als naturalisierte Merkmale dar. Wie lässt sich unter dieser Perspektive die Hautfarbe einordnen?

Eine neue Geschichte in einer alten Welt

Eine neue Geschichte im „Herr der Ringe“-Universum steht in dieser Hinsicht einem Dilemma gegenüber: Sie knüpft an eine Erzählung an, in der Gut und Böse, und in der Folge die Farben Weiß und Schwarz, als wesentliche Eigenschaften auftreten. Gleichzeitig gilt es, dem Diversitätsgedanken Rechnung zu tragen, der nicht nur allgemeingesellschaftlich einen hohen Stellenwert einnimmt, sondern auch durch die Richtlinien der Produktionsfirma (im vorliegenden Fall Amazon) vorgeschrieben ist. Schwarze Menschen sollen anerkennend berücksichtigt werden.

Wenig überraschend bricht die Produktion der Prequelserie nicht mit den Vorgaben ihrer Geldgeber, sondern mit dem Konzept der Fantasywelt. Sie engagiert etwa mit Ismael Cruz Córdova einen dunkelhäutigen Schauspieler für die Figur eines Elben. Auch unter den Zwergen oder Hobbits finden sich dunkelhäutige Vertreterinnen und Vertreter. Wie aber kommen diese Geschöpfe zu einer Hautfarbe, die, wenn man ihnen eine symbolische Bedeutung zurechnet, mit der zurückliegenden Historie des Werks im augenscheinlichen Widerspruch steht? 

Erzählerisch ignoriert die Serie diese Frage. Sie tut so, als habe es die unterschiedlichen Hautfarben immer schon gegeben. Das ist offenkundig nicht der Fall, was sich aber damit erklären lassen könnte, dass man diesen Sachverhalt als „Fehler“ von Tolkien und Jackson versteht, der dem rassistischen Zeitgeist geschuldet war und den man nun korrigiert. 

Das Produktionsteam der Serie veröffentlichte nach zum Teil gewaltsamen Übergriffen auf Mitglieder des Casts eine Stellungnahme, in der unter anderem zu lesen ist:

JRR Tolkien created a world which, by definition, is multi-cultural. A world in which free peoples from different races and cultures join together, in fellowship, to defeat the forces of evil. Rings of Power reflects that. Our world has never been all white, fantasy has never been all white, Middle-earth is not all white. BIPOC belong in Middle-earth and they are here to stay.

https://twitter.com/LOTRonPrime/status/1567640086954790912/photo/2

Diese „linke“ Auslegung steht im Widerspruch zur „rechten“ Deutung, wie man sie aktuell etwa bei der italienischen Ministerpräsidentin, „Post“faschistin und Tolkien-Fan Giorgia Meloni findet. 

„Die Orks sind für Meloni die in ihren Augen ungerechte EU, Migranten, die LGBTQI-Lobby, die linke Politik und pluralistische Lebensentwürfe, die nicht dem Bild der Heiligen Familie entsprechen.“

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/giorgia-meloni-und-der-herr-der-ringe-18344101.html

Beide Ansätze verorten sich selbst auf der Seite der Guten. Linkerseits stehen die freien Völker von Mittelerde für eine offene und plurale Gesellschaft, rechterseits repräsentieren ebendiese freien Völker einen Ethnopluralismus à la Benoist, der die Verschiedenheit der unterschiedlichen Rassen oder Kulturen anerkennt und gleichzeitig auf ihre Reinheit pocht. Das Böse sind die jeweils anderen – wahlweise können die Orks für einen rechtsnationalen Autoritarismus herhalten oder für eine linke Gesinnungsdiktatur.

„Middle-earth is not all white“ 

Was widersprüchlich anmutet, geht dennoch auf eine gemeinsame Vorannahme zurück. Nämlich die, dass es überhaupt unterschiedliche Rassen/Völker gibt, die sich durch ihnen inhärente Eigenschaften voneinander unterscheiden. Die Hautfarbe ist dabei eine Eigenschaft unter anderen, die auf eine soziokulturelle Dimension verweist. Das Weiße steht für das Hegemoniale, entsprechend der Vormachtstellung der weißen Menschen Westeuropas über schwarze Menschen im Zuge des Kolonialismus. Das Schwarze gilt umgekehrt als das Unterdrückte und Marginalisierte. Doch unterdrückt sind nicht nur Menschen mit entsprechender Hautfarbe, sondern auch andere Gruppen, etwa Indigene (daher das Akronym BIPOC für Black, Indigenous, People of Color). Diese Gruppen finden in der linken Auslegung ihre Entsprechung in den freien Völkern von Mittelerde, die sich zwar weiterhin qua Arten-Identität unterscheiden, die sich aber für den gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung zusammenschließen. 

Die Prequelserie kann diese Analogie nicht aufrechterhalten. Sie müsste einer einzelnen identitär gefassten Gruppe in der realen Welt eine eigene Spezies oder Unterart in der fiktiven Welt gegenüberstellen. Anstatt über die unterschiedlichen Völker hinweg einzelne Figuren mit dunkelhäutigen Schauspielerinnen oder Schauspielern zu besetzen, bräuchte es etwa den einen Hobbit-Stamm und/oder das eine Elbenvolk, das die dunkle Hautfarbe als Identitätsmarkierung ausweist und ausschließlich mit entsprechenden Personen besetzt würde. 

Eine Geschichte mit solchen Verhältnissen würde im Einklang mit den Ideen des Stoffs stehen, denn Tolkien hat in der Anlage seiner Welt durchaus Raum etwa für Figuren mit dunkler Hautfarbe hinterlassen, wenn er vereinzelt nicht sogar explizit geworden ist – angefangen bei den „Schwarzen Menschen“ in Harad, südlich von Mittelerde. Das jedoch ist genau nicht die Geschichte, die die Serie erzählt. Der Bruch mit der Diegese, das heißt mit dem Konzept der Welt von Mittelerde, liegt auch in dem Bruch mit der oben beschriebenen Analogie. Die Serie möchte eine Welt zeichnen, in der die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (auf Basis naturalisierter Eigenschaften) keine Auswirkungen auf die eigene Stellung innerhalb der Gesellschaft hat. Dazu greift sie jedoch auf einen Stoff zurück, der genau davon geprägt ist und der auf diese Weise den Rassismus der Zeit spiegelt, in der er entstanden ist.

Hier müsste die Serie ansetzen, und sie könnte es mit gutem Gewissen tun, denn das Produktionsteam hat den Ausgangspunkt selbst benannt: „Middle-earth is not all white.“ Das Schwarze existiert bereits, doch es existiert nicht dort, wo die Serie es neuerdings verortet. Stattdessen zeigt das klare Gut-Böse-Schema deutlich, wo es zu finden ist. Denn um diese Unterscheidung herzustellen, bedient sich der Stoff des Othering und der Diskriminierung – was im engeren Wortsinn schließlich „Unterscheidung“ bedeutet. 

Das Gute ist das Weiße und Hegemoniale, und hegemonial ist die Ordnung der freien Völker in der Welt von Mittelerde. Mit den Elben umfasst diese Seite sogar eine Art Herrenrasse, die in vielerlei Hinsichten anderen Völkern überlegen ist. Das Böse ist das Diskriminierte, das Ausgegrenzte, mithin das Schwarze. Und tatsächlich findet sich die schwarze Hautfarbe vor allem bei den Orks, die darüber hinaus Objekt der Entmenschlichung sind – rassistisches Grundrepertoire. Ihr rohes Auftreten, gerade in Massen, verortet sie näher bei den Tieren, vielleicht bei Ratten, als auf Augenhöhe mit den kultivierten freien Völkern.

Die Haradrim, ein südländisches Volk, sind neben den Orks ein Gruppe, die für das Böse ins Feld zieht und ihrerseits als primitiv und wild beschrieben wird. Sie weisen Kriegsmalereien auf, wie man sie von indigenen Kulturen kennt. Der Einsatz einer Art Kriegselefanten – Tiere des afrikanischen Kontinents – kennzeichnen darüber hinaus ihre Fremdheit gegenüber den europäisch gezeichneten freien Völkern. Ähnliches gilt für die Corsaren von Umbar, die als Piraten charakterisiert sind, also als Kriminelle, die sich nicht der bestehenden Ordnung fügen und daher als gesellschaftlich Ausgestoßene gelten. 

Fiktion als Reflexion gegenwärtiger Verhältnisse

„Die Ringe der Macht“ aber ignoriert das Erbe des eigenen Stoffes. Damit geht das Potenzial verloren, im Rassismus der Werkgeschichte den Rassismus der westeuropäischen Vergangenheit zu reflektieren und in der Welt von Mittelerde eine Emanzipationsgeschichte zu erzählen, die an den Rassismen des Stoffes anknüpft und auf diese Weise auch die emanzipatorischen Bestrebungen der Gegenwart aufgreift. Weil die Amazon-Produktion eine Geschichte unter derlei Vorzeichen nicht angemessen erzählen möchte, scheitert sie am vermeintlichen Dilemma, eine weiße Welt bunt machen zu müssen.

Eine Geschichte, die an den bestehenden Stoff anknüpft und gleichzeitig seinen historischen Vorlauf ernst nimmt, könnte sich beispielsweise die Perspektive der Südländer oder sogar der Orks aneignen und Diskriminierungsstrategien explizit benennen oder auch aufzeigen, wie ja gerade Orks nicht nur von den freien Völkern bekämpft werden, sondern auch von Sauron unterworfen sind. Dabei ließe sich zeigen, dass die Moralität des Handelns nicht von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Art abhängig ist. Einen solche Perspektive erzählt etwa Moritz Rudolph im Philosophie Magazin, der den Kampf der Orks als einen Klassenkampf deutet und der ebenfalls über die moralische Zuordnung stolpert:

Wer Der Herr der Ringe liest oder schaut, den beschleicht das Gefühl, dass man ihn dazu drängen will, mit den Falschen mitzufiebern. Sind es nicht gerade Orks, Uruk-hai und andere widerliche Gestalten, die unsere Solidarität verdienen?

https://www.philomag.de/artikel/verteidigung-der-orks

Der Produktion ist jedoch vor allem daran gelegen, die Diversitäts-Vorgaben möglichst direkt umzusetzen, ohne dass das die erfolgversprechende (weil in der bedeutungsschweren Vorgeschichte der beliebten Jackson-Filme spielende) Storyline dadurch gefährdet, dass irgendeine unbequeme Werkgeschichte ihr in die Quere kommt.

Für das Produktionshaus Amazon ist die Serie in erster Linie eine Kalkulation in der Entwicklung des eigenen Portfolios, insbesondere des Dienstes Amazon Prime. Somit liegt die Funktion der Serie vor allem darin, die zeitgleiche Preiserhöhung des Dienstes zu legitimieren. 

Es ist durchaus zu begrüßen, dass entgegen den ausschließlich weiß besetzten Filmen im neuen Cast auch BIPOC-Personen zentrale Rollen spielen. Noch mehr zu begrüßen gewesen wäre hingegen, hätte die Produktion den Stoff entweder mitsamt seiner Historizität aufgenommen und dadurch gleichzeitig die eigenen Diversitätsansprüche berücksichtigt – oder sich einen anderen Stoff gesucht.

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