Die wachsende Nähe zwischen Unternehmerkreisen und der AfD ist kein Betriebsunfall der Demokratie. Sie ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Rationalität, die sich in der Krise selbst autoritär stabilisiert.
In den vergangenen Jahren mehren sich Berichte, die zeigen: Teile des industriellen Bürgertums in Deutschland sympathisieren offen mit der AfD – sei es durch Parteispenden, geschlossene Vorträge oder stille Netzwerke. Diese Entwicklung wird oft als Ausdruck persönlicher Radikalisierung, als Tabubruch oder gar als irrationaler Affekt gegen die politische Klasse interpretiert. Doch diese Deutungen greifen zu kurz. Was sich hier zeigt, ist weniger ein Abweichen von der Norm, als vielmehr deren Konsequenz: die autoritäre Radikalisierung einer marktförmig zugerichteten Subjektform, die sich durch ökologische, geopolitische und soziale Krisen bedroht sieht – und sich entsprechend zur Wehr setzt.
Industrieinteressen als gesellschaftlich formierte Rationalität
Wer von „Industrieinteressen“ spricht, meint oft implizit ökonomische „Sachzwänge“, Standortlogik oder Wettbewerbsfähigkeit. Doch diese Interessen sind nicht naturgegeben. Sie entspringen der kapitalistischen Gesellschaftsform selbst – einer Struktur, in der nicht nur produziert, sondern auch gedacht, gefühlt und politisch gehandelt wird entlang der Logik von Verwertung, Effizienz, Eigentumssicherung. In dieser Logik erscheint das, was dem Markt dient, als vernünftig – und das, was ihn stört, als Bedrohung.
Die AfD knüpft genau an diese Subjektivierungsform an. Ihr Bild vom starken Staat ist nicht antikapitalistisch, sondern ordnungsfixiert. Ihre Ablehnung von Klimaschutz und Gleichstellungspolitik zielt nicht auf Emanzipation, sondern auf die Rückkehr zur „natürlichen Ordnung“: ein autoritärer Kapitalismus, der sich selbst nicht in Frage stellt, sondern seine inneren Widersprüche externalisiert – etwa auf Migrant:innen, auf „die faulen Anderen“ oder auf „ideologische Bevormundung“ durch ökologische Transformation.
Vom Neoliberalismus zur autoritären Marktförmigkeit
Es wäre ein Missverständnis, in der AfD einen Bruch mit dem Neoliberalismus zu sehen. Vielmehr handelt es sich um dessen autoritäre Zuspitzung. Der jahrzehntelang hegemoniale Glaube an die Selbstregulierung des Marktes ist in die Krise geraten: Lieferketten brechen, Energiepreise steigen, geopolitische Blockbildungen gefährden Standorte. Gleichzeitig erhöhen Klimavorgaben, ESG-Kriterien und neue Regulierungsschritte den Druck auf industrielle Planungssicherheit.
In diesem Kontext erscheint die AfD nicht als irrational, sondern als konsequent: Sie bietet das Versprechen, jene Unsicherheiten zu eliminieren, die nicht zuletzt Resultate der kapitalistischen Globalisierung selbst sind – durch Abschottung, autoritäre Steuerung, symbolische Ordnungsherstellung. Dass sie dabei Rassismus, Antifeminismus und Geschichtsrevisionismus mobilisiert, ist kein Nebeneffekt, sondern ideologische Klammer der Regression: Der autoritäre Charakter feiert seine Rückkehr im Gewand marktwirtschaftlicher Selbstbehauptung.
Kein Protest, sondern Affirmation
Die Nähe vieler Unternehmer:innen zur AfD ist keine Form des Protests gegen „die da oben“, sondern Ausdruck einer tiefen Affirmation des Bestehenden. Sie sucht nicht Transformation, sondern Stabilisierung – durch Ausschluss, Ordnung und autoritäre Kontrolle. Was hier als Alternative verkauft wird, ist in Wahrheit die reaktionäre Verschärfung der Verhältnisse, die sich ohnehin durchsetzen: Flexibilisierung von Arbeit, Externalisierung von Krisen, Abwehr sozialer Gleichheit.
Die AfD reagiert auf die Krisenerscheinungen kapitalistischer Vergesellschaftung, ohne deren Ursachen zu erkennen. Für viele Industrielle ist das attraktiv. Denn es erlaubt ihnen, sich zugleich als Opfer der Transformation und als Garanten von Ordnung zu inszenieren – ohne die eigene Rolle im Fortgang dieser Entwicklung hinterfragen zu müssen.
Die AfD als autoritäre Rückseite des Marktes
Wer die aktuelle Annäherung von Wirtschaftseliten an die AfD verstehen will, sollte aufhören, sie als moralisches Versagen oder individuelle Verirrung zu deuten. Was hier geschieht, ist strukturell: Eine kapitalistisch sozialisierte Subjektivität gerät in die Defensive und findet ihre Rettung nicht in Solidarität, Emanzipation oder demokratischer Neubegründung – sondern in regressiven, autoritären Politiken, die das Bestehende mit Gewalt zu konservieren versprechen.
Eine Ergänzung könnte sein Clara Mattei: Die Ordnung des Kapitals. Wie Ökonomen die Austerität erfanden und dem Faschismus den Weg bereiteten. Berlin: Brumaire
Eine Ergänzung könnte sein Clara Mattei: Die Ordnung des Kapitals. Wie Ökonomen die Austerität erfanden und dem Faschismus den Weg bereiteten. Berlin: Brumaire