Die Situation in der Pflege. Bild von Andrew Martin, Pixabay

„Schlechte medizinische Betreuung gefährdet die Gesundheit gepflegter Menschen.“

Auf Zeit Online war vor einiger Zeit ein Interview mit dem Mediziner Patrick Larscheid zu lesen. Larscheid leitet seit 2015 das Gesundheitsamt in Berlin-Reinickendorf. Seine offenen Worte über den Zustand der deutschen Pflegeheime lassen tief blicken. Der Ausgangspunkt waren drei Todesfälle in Berlin. Larscheid sagt:

Im konkreten Fall ist es so, dass das Personal über das gesamte Haus verteilt Infektionen aufweist, dazu gehören auch Menschen, die nicht mit den betreuten Bewohnerinnen und Bewohnern in Kontakt standen, zum Beispiel Service- und Küchenkräfte, aber natürlich auch das Pflegepersonal selbst. Mitarbeiter tragen das Virus in die Einrichtungen und stecken die Bewohner an, beim Waschen, beim Umbetten und so weiter. Leider achtet das Personal dabei zu oft nicht auf Hygieneregeln. Das kennen wir schon aus Nichtpandemiezeiten, wenn sich zum Beispiel Durchfallerreger in Heimen verbreiten. Und bei Covid setzt sich das nun fort.

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Das ist ziemlich nachlässig von den Pflegekräften, könnte mensch nun denken. Doch Larscheid ergänzt umgehend:

Leider gibt es in vielen Pflegeeinrichtungen kaum noch Fachpersonal. Die Ausbildungsqualität ist im Schnitt in den vergangenen Jahrzehnten immer schlechter geworden. Was an Qualifikation als akzeptabel angesehen wird, ist medizinisch meist nicht ausreichend. […] Es gibt natürlich Unterschiede, aber von ungefähr 250 Einrichtungen, die ich in Berlin näher kenne, würde ich in vielleicht drei meine Angehörigen bringen. Die Situation wird politisch so in Kauf genommen und liegt am fehlenden Geld. Aber genau das rächt sich, das sehen wir auch jetzt in der Corona-Pandemie: Schlechte medizinische Betreuung gefährdet die Gesundheit gepflegter Menschen.

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Tatsächlich liegt es also gar nicht an den Pflegekräften. Schuld ist vielmehr das Pflegesystem, in dem sie beschäftigt werden. Die politisch vorgegebenen Pflegestandards sinken. Warum sinken sie? Weil kein Geld da ist. Am Ende sterben dann Menschen. Nicht weil es an technisch-medizinischen Mitteln fehlen würde, auch nicht weil das unterstützende Personal kein Interesse an guter Pflege hätte – einfach nur, weil technisch-medizinische Möglichkeiten ausschließlich dann auch praktisch zum Einsatz kommen, wenn sie durch das Nadelöhr der Geldbeziehungen hindurchgeflutscht sind. Und das wirkt grade als riesiger Bremsklotz.

Wenn der Mediziner sagt, die Situation werde politisch in Kauf genommen, dann meint er: Es muss so nicht sein. Es könnte anders sein. Wenn er darauf verweist, es liege am fehlenden Geld, dann heißt das: Letztlich wird die Entscheidung gar nicht politisch getroffen. Stattdessen werden aus den reichhaltig vorhandenen Ressourcen der Gesellschaft knappe Güter, indem sie in eine spezifische gesellschaftliche Form gedrängt werden: die Form der Ware.

Mit dem Verkauf der Ware „Pflege“ lässt sich nun aber nicht gut Geld verdienen, die Ware verkauft sich nicht sonderlich gut. Es gibt zwar ein ausgeprägtes Bedürfnis bei vielen Menschen nach guter Pflege, aber es gibt keinen „Bedarf“. Mit „Bedarf“ markieren die Wirtschaftswissenschaften die Bedürfnisse, die auch über die notwendige Zahlungsfähigkeit verfügen. Und hier fällt der gesamte Care-Bereich traditionell hinten runter. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er sich mit der Zeiteinsparlogik beißt, die den kapitalistischen Prozess kennzeichnet.

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