Es ist ein Klassiker der bürgerlichen Vorstellung von Geschlecht: In Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken beschreiben Allan und Barbara Pease im Jahr 1998, wie sich moderne Geschlechterstereotype aus den Notwendigkeiten des Menschen in der Frühgeschichte erklären lassen. Weil das Männchen immer nach Fluchtmöglichkeiten sucht, checken Männer noch heute als erstes die Anzahl der Steckdosen im Raum, weil Frauen am Feuer sitzen und die Kinder verteidigen mussten, ist ihre Aufmerksamkeit noch heute in bestimmten Bereichen stärker geschärft als die der Männer.
Dass das alles Quatsch ist, wussten gut informierte, vom Feminismus inspirierte Kreise schon seit langem. Trotzdem ist diese Vorstellung bis heute prägend für die Darstellung von frühgeschichtlichem Sozialleben. Das gilt nicht nur für die einschlägigen Fernsehdokumentationen. Wie die taz berichtet, hat eine Studie vom Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie von der Uni Basel die Darstellungen frühgeschichtlicher Familienkonstellationen in der archäologischen Literatur untersucht und ist zu einem nicht wenig überraschenden Ergebnis gekommen: Die Vorstellungen von der modernen, heterosexuellen Kleinfamilie prägen die Darstellung auch dann, wenn es dem Forschungsgegenstand unangemessen ist. In der Zusammenfassung der Autor*innen heißt es entsprechend:
Die Familie bildet in zahlreichen archäologischen Publikationen die soziale Grundeinheit ur- und frühgeschichtlicher Gesellschaften. Ihre oft stereotype Darstellung durch die Epochen lässt vermuten, dass sie weniger aktiven Reflektions- und Interpretationsprozessen entspringt als vielmehr ein Produkt archäologischer Wissenskonstruktion darstellt. Eine Überprüfung der „archäologischen Familie“ anhand demographischer Grundsätze bestätigt diese Vermutung: die Kinderzahlen in den dargestellten Familien reflektieren die moderne Kernfamilie westlicher Prägung und wären keinesfalls ausreichend, um Bevölkerungswachstum zu produzieren, wie es z.B. für das Neolithikum angenommen wird.
Sandra Pichler, Thomas Doppler, Brigitte Röder: Prähistorische Familien in der archäologischen Literaturder Schweiz: ein Abbild der ehemaligen Realität?
Die Vorstellung, heterosexuelle Kleinfamilien mit moderner Praxis der Arbeitsteilung seien ein Überbleibsel der Vorvergangenheit, ist also Unsinn. Denn schließlich, so merkt Dagmar Schedewy in der taz an,
haben sich durch die Fortschritte der Prähistorischen Anthropologie, insbesondere der Molekulargenetik, in den letzten 20 Jahren geschlechtsspezifische Zuschreibungen aufgelöst. In manchem Kriegergrab wurde eine Kriegerin gefunden, Keltenfürsten entpuppten sich als Fürstinnen und auch ganz ohne DNA-Analyse hat ein geschlechterpolitisch geschärfter Blick manch frühes Epos nachträglich als Werk einer Autorin enttarnt. […]
Dagmar Schedewy: Archäologisches Traumpaar
Weder für das Jäger-Sammlerinnen-Modell noch für spezifische Formen des Zusammenlebens lassen sich in den 2,5 Millionen Jahren Altsteinzeit und der anschließenden Jungsteinzeit jedoch eindeutige archäologische Befunde finden. Für die Urgeschichte ist die Quellenlage besonders dürftig. Die Skelettfunde sind meistens unvollständig und lassen aufgrund des Alters keine Geschlechtsbestimmung zu.
Auch materielle Artefakte sagen letzten Endes wenig über das Geschlecht ihrer Benutzer*innen aus. Niemand kann mit Sicherheit wissen, ob ein Mann oder eine Frau ein Beil oder einen Faustkeil in den Händen hielt.
Wenn wir patriarchale Arbeitsteilung und sexistische Gesellschaftsstrukturen in der Moderne kritisieren wollen, müssen wir schon auf die moderne Gesellschaft gucken. Und nicht in die Frühgeschichte.