Der demokratische Rechtsstaat räumt die Klimagerechtigkeit ab. Kathrin Henneberger

Überlegungen zu Demokratie und Klimagerechtigkeit

Oft wird die Räumung des kleinen Dorfes Lützerath mit dem Argument der demokratischen Rechtsstaatlichkeit gerechtfertigt. Es gebe in einer Demokratie nun mal politische Prozesse, so heißt es, durch die Mehrheitsentscheidungen festgelegt seien. Und an die müssen sich dann auch bitte alle halten. Die Staatsgewalt kann dann in Form ihres ausführenden Arms, der Exekutive, diese Entscheidungen umsetzen. In diesem Fall heißt das: das Dorf räumen und dem Eigentümer RWE ermöglichen,sein Eigentum im Sinne der ökonomischen Rationalität einzusetzen. 

 Das ist allerdings kaum die Hälfte der Wahrheit. Mindestens drei zentrale Aspekte werden dabei außen vorgelassen 

1 Wie kommen die Entscheidungen zustande? 

Ein klassisches anarchistisches Argument bezieht sich darauf, wie diese Entscheidungen zustande kommen. Bei Wahlen werden Parteien mit einer Vielzahl von Forderungen zu einer Vielzahl von Themen gewählt. Diese einigen sich mit anderen Parteien auf eine Regierungskoalition. In beiden Schritten fallen viele Wünsche und Bedürfnisse der Wähler:innen unter den Tisch. Dann werden im praktischen Regierungsalltag Kompromisse geschlossen, die von außen nur schwer nachvollziehbar sind und die von außen kaum nachvollziehbar sind. 

Das Problem geht aber noch weiter, als es der bewährte anarchistische Einwand formuliert. Alle diese Entscheidungen werden in einer Demokratie nämlich immer vor dem Hintergrund einer gesamtgesellschaftlichen Folie getroffen. Es gibt rechtliche Vereinbarungen die berücksichtigt und finanzielle Notwendigkeiten, die erwogen werden müssen.  

Eine Entscheidung wie die, den Ort Lützerath zu räumen und die Braunkohle unterhalb der Ortschaft zu fördern und zu verbrennen, kann daher auch niemals eine sein, die nur auf rationalen (“stofflichen”) Entscheidungen und Gründen beruht. Es gibt immer auch eine abstrakt-gesellschaftliche Dimension, die hier mit reinkommt.  

Diese besteht einerseits in bestimmten rechtlichen Verpflichtungen, die zumeist auf Eigentumsgarantien und Gewinnerwartungen hinauslaufen. Das ist auch kein Wunder, denn moderne Gesellschaften sind im wesentlichen Wachstumsgesellschaften. Und die Wachstumsmaschine muss weiterlaufen, damit auch die Einnahmen für Vater Staat sprudeln. Irgendwer muss die Polizist:innen ja bezahlen, die da zum Einsatz kommen. 

2 Wer nimmt Einfluss auf die Entscheidungen 

Bevor so eine Entscheidung getroffen wird, nehmen unterschiedliche Gruppen in ganz unterschiedlichem Maße Einfluss auf die Entscheidung. In diesem Sinne sind gar nicht alle “gleich”. Manche sind “gleicher als andere”, wie es George Orwell in der “Farm der Tiere” formuliert hat. Die Wahlentscheidung der Wähler:innen z.B. beruht auf deren allgemeiner Einschätzung der politischen Lage. Aber wo kommt diese Einschätzung her? Welchen Einfluss haben Medienkonzerne, die die Bedeutung der Klimakrise stetig herunterspielen? Welchen Einfluss haben Lobbyverbände der fossilen Energie, wenn diese Kampagnen finanzieren und Parteien unterstützen (oder ihre Unterstützung entziehen) können? 

Diese Ungleichgewichte setzen sich dann bis in den konkreten Gesetzgebungsprozess fort. Woher kommen die Informationen, auf deren Basis z.B. die Landesregierung in NRW ihre Entscheidungen gefällt hat? Sie kommen (keine Überraschung) zu nicht unerheblichem Teil von RWE. Das Ergebnis der Absprachen zwischen Wirtschaft und einer strukturell eng mit ihr verbundenen Politik kann im Anschluss in der Medienberichterstattung so dargestellt werden, wie es den Beteiligten gut in den Kram passt.  

Auch hier haben wir also nicht einfach demokratische Gleichheit, sondern ein buntes und schwer überschaubares Gestrüpp an Widersprüchen und Einflussnahmen. 

3 Wer darf gar nicht mitreden? 

Der entscheidende Punkt ist aber ein ganz anderer. Denn die Entscheidung zum Ausstoß von Klimagasen betrifft nicht nur die Menschen in dem Land, in dem sie getroffen werden. Sie betrifft auch alle anderen Länder. Alleine dieser simple Fakt macht schon deutlich, dass eine in Nationalstaaten und konkurrierende Interessen aufgeteilte Welt kaum geeignet sein wird, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. 

Während also die Menschen in Deutschland ganz demokratisch entscheiden, weiterhin den Planeten mit Schadstoffen zu überladen, müssen die Menschen in anderen Teilen der Welt einen wesentlichen Teil der Folgen ausbaden. Und zwar in einem ganz wörtlichen Sinne, wenn der Wasserspiegel steigt und Überschwemmungen und Hochwasser zunehmen. 

Der demokratische Prozess, der die Folgen des eigenen Handelns ausblendet und auf andere Teile der Welt verschiebt, bedient sich des Mechanismus der Externalisierung. Die Probleme tauchen dann an einer anderen Stelle der Welt auf, aber nicht vor der eigenen Haustür. Die Sintflut, so formulierte es der Soziologe Stephan Lessenich sinngemäß, kommt gar nicht erst “nach uns”, wie es in einem populären Spruch heißt. Sie ist bereits da und existiert neben uns – weshalb er ein populäres Buch und sehr lesenswertes Buch auch “Neben uns die Sintflut” nannte. 

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