Adam Smiths berühmte Metapher der „unsichtbaren Hand des Marktes“ ist zu einem geflügelten Wort geworden. Wenn alle Menschen ihr rationales und privates Interesse verfolgen würden, so die Implikation, trüge jeder zum allgemeinen Wohl bei. Eine Auffassung, die von Karl Marx kritisiert wurde. Er wies daraufhin, dass diese Beziehung auch von der anderen Seite betrachtet werden kann: Durch die einzelnen voneinander isolierten Handlungen und dem Verfolgen des eigenen Interesses hemmen sich alle gegenseitig, und dadurch auch die Ziele der Gesellschaft.
Ein schlagendes Beispiel dafür wäre der motorisierte Individualverkehr, also vor allem das Auto. Auf den Straßen verfolgt jeder, isoliert von den anderen Verkehrsteilnehmer:innen, sein individuelles Ziel, um von A nach B zu kommen. Aus der Sicht des Einzelnen völlig rational.
Das Resultat dieser isolierten Tatsache ist jedoch alles andere als rational. Jeder kennt das Gefühl im Stau auf der Autobahn, im Berufsverkehr zu stecken oder einen Parkplatz suchen zu müssen. So breite Straßen, so viele Parkplätze und doch reicht es nie aus, immer stört irgendwas den reibungslosen Ablauf. Verkehrswissenschaftler:innen zerbrechen sich die Köpfe: Es werden mehr Straßen gebaut, sie werden breiter, länger, besser. Doch es hilft nichts: Der Stau wird immer länger. Im Jahr 2018 erreichte die Gesamtlänge aller Staus in Deutschland einen neuen Rekord mit ca. 1,5 Millionen Kilometern. In diesem Jahr summierten sich die Staustunden gleichzeitig auf ca. 460.000. Stau ist so selbstverständlich wie das Wetter, weshalb er ebenfalls einen festen Platz im Radio hat.
Autofahren ist somit alles andere als komfortabel und stressfrei. Da die Menschen als „vereinzelte Einzelne“ (Marx) Gebrauch von ihrem „Freiheitsrecht“ machen, nehmen sie in Kauf ihre Freiheit einzuschränken und stundenlang auf der A3 im Stau zu stehen. Beispielhaft wird dieses Dilemma in der Komödie „Office Space“ von 1999 gezeigt.
So ist der ältere Herr, der mit dem Rollator am Wegesrand vorbei läuft, schneller als das Auto. Der Sozialtheoretiker Ivan Illich beschrieb diese Situation in den 70er Jahren in einem kurzweiligen Text als „Lähmung der Gesellschaft“. Er beschreibt eindrücklich, wie die Möglichkeit immer schneller zu fahren, das Gegenteil bewirkt: dass die Menschen immer längere Strecken und somit länger fahren, dass der Verkehr immer mehr zum Selbstzweck wird und der menschlichen Kontrolle abhanden kommt, sich immer mehr verselbstständigt.
Unsere beschränkten Informationen zeigen, daß überall auf der Welt, nachdem ein Fahrzeug die Geschwindigkeitsbarriere von 25 km/h überstieg, der verkehrsbedingte Zeitmangel zunahm. Nachdem die Industrie diese Schwelle des Pro-Kopf-Ausstoßes erreicht hatte, machte der Verkehr den Menschen zu einem Heimatlosen neuen Typus: Einem Geschöpf, das dauernd seinem Bestimmungsort fern ist und ihn aus eigener Kraft nicht erreichen kann, doch täglich erreichen muss. Heute arbeiten die Menschen einen erheblichen Teil des Tages, um das Geld zu verdienen, das sie brauchen, um überhaupt zur Arbeit zu kommen. (…) Die Zeit, die eine Gesellschaft für den Transport aufwendet, wächst proportional zur Geschwindigkeit ihres schnellsten Verkehrsmittels. Die Lebenszeit wird angefüllt mit durch den Verkehr erzeugten Aktivitäten, sobald die Fahrzeuge die Schranke durchbrechen, welche die Menschen vor Entfremdung und den Raum vor Zerstörung bewährt
Die sogenannte Energiekrise oder die Lähmung der Gesellschaft (1974), 40 f.
Illich ist hier noch der Vorstellung einer „abstrakten, ungesellschaftlichen Technik“ verhaftet. Es macht den Eindruck, dass „die Technik“ an sich das Problem wäre. Jedoch ist diese Art der Fortbewegung auch gesellschaftlich bedingt. Mit einzelnen Autos lässt sich mehr Geld verdienen als mit dem öffentlichen Nahverkehr. Eine schlagendes Beispiel ist eine der wenigen wahren Verschwörungen der modernen Geschichte. Die sogenannte „General Motors Street Car Conspiracy“ durch die gezielt Straßenbahnunternehmen in den USA von Automobilkonzernen aufgekauft wurden, um sie anschließend aufzulösen.
Der Verkehr entfremdet die Menschen, da sie von den Staus und dem Platz, der benötigt wird, beherrscht werden. Alles wird dem Auto unterworfen. Das Auto wird so zur Konkretion des kapitalistisch-gesellschaftlichen Subjekts, an dem die Menschen ihr Leben ausrichten. Das ist die Verdinglichung, von der Marx mal gesprochen hat.
Die Einschränkung der Freiheit ist nur ein kleiner Aspekt der Idiotie des Autos. Im Schnitt sitzen 1,5 Menschen in Deutschland in einem einzelnen Auto, das ca. 9 Quadratmeter Fläche benötigt. Jeder trägt mit diesem höchst ineffizienten Fortbewegungsmittel seinen kleinen unscheinbaren Beitrag zur Zerstörung der Umwelt bei.
Die Verehrer einer kontextlosen Technik, etwa Elon Musk, bieten für diese ganzen Probleme einzig und allein den Austausch des Motors, aber nicht die grundlegende Veränderung des Transports. Eine solche Veränderung des Transports verweist ihrerseits auf die Notwendigkeit, weitere Teile der gesellschaftlichen Beziehungsformen zu transformieren. Denn wenn wir das Auto benötigen um zur Arbeit zu kommen, dann können auch die Arbeits- und Lebensbedingungen nicht so bleiben wie sie sind. Die Kritik des Autos führt direkt in das Herz der Bestie.
Das propagierte Zauberwort hieß „Flexibilität“ und ohne diese verschwanden die Chancen am Arbeitsmarkt deutlich.
Die frühere Bindung des Lohnabhängigen von einem, nahe am Wohnort liegenden Arbeitsplatz wurde dadurch geknackt. Früher war der 9-10 Stunden arbeitende Teil einer Familie sowieso den ganzen Tag weg und es musste ein anderer Teil die unentgeldliche Familienarbeit verrichten. Das Geld einer Arbeitskraft musste für den Erhalt einer Familie reichen und das war der Mindestanspruch eines Arbeiters selbst an einen ungelernten Arbeitsplatz.
Die Senkung des Preises der Ware Arbeitskraft seit den 80-er Jahren, wäre ohne Flexibilität und falsch verstandene Emanzipationsideen nicht durchsetzbar gewesen.
Solange das Auto heute für viele Arbeitnehmer, männlich wie weiblich, einen Freizeitgewinn von einer Stunde täglich, gegenüber den Öffentlichen bedeutet (wie 40 zu 35 Stundenwoche!), ist es unklug fortschrittliche Denkansätze mit einer Kritik am Individualverkehr zu verbinden.
Dieser Ansatz fordert die Opferbereitschaft wieder genau von den falschen Leuten ein und reduziert das Problembewusstsein auf individuelles Fehlverhalten.
Gut!