Es gibt durchaus Gründe, warum dieser antirassistische Ruf nicht an Gewicht verliert. Megan Trace

Hauptsache weg!

Großbritannien will Migrant:innen nach Ruanda ausfliegen. Und zwar unabhängig von deren Herkunft und Staatsangehörigkeit. Hauptsache weg. Wie Europa mit den Überflüssigen umgeht, lesen Sie hier.

Allen humanistischen Ansprüchen und aller Betonung der Menschenrechte zum Trotz, versuchen sich die europäischen Staaten gegen Migration aus dem Globalen Süden zu schützen. Während die Waren aus dem Süden in Form von Rohstoffen schon lange den Norden erreicht haben, soll der Ware Arbeitskraft dieser Weg verbaut werden. Ganz wörtlich übrigens, denn schon lange ist von einer “Festung Europa” die Rede.

Abschottung und Schleuserwesen

Der Hintergrund ist leicht zu verstehen: Die zunehmende Abschottung der europäischen Staaten hat zur Folge, dass Menschen nicht mehr nach Europa kommen. Wenn sie aufgrund klimatischer Veränderungen in ihren Herkunftsländern, aufgrund politischer Verfolgung, sozialpolitischer Verelendung oder schlicht vor einem Krieg flüchten, stehen ihnen die Türen der europäischen Staaten nur in seltenen Fällen offen.

Als Begründung dient der Politik dabei die Konstruktion einer Zweiteilung in “politische Fluchtursachen” und “Scheinasylanten”, die nur so tun als würden sie vor politischer Unbill flüchten – und in Wahrheit nur auf das (relativ) gute Leben aus sind, das die Menschen in Europa oftmals führen dürfen. Diese Konstruktion entbehrt nicht einer gewissen Komik, denn schließlich sind es politische Entscheidungen, die erst die Umstände herbeiführen, die die Menschen anschließend in die Flucht treiben.

Um nun trotzdem von dem trostlosen Ort wegzukommen, an das Schicksal und Weltpolitik sie geführt haben, bedienen sich die Verzweifelten tüchtiger Geschäftsleute, die ihnen versprechen sie nach Europa zu bringen. Unglücklicherweise haben diese Geschäftsleute nicht nur kein Gewerbe in Europa angemeldet, sie gefährden zu allem Überfluss das innenpolitische Ziel, die heimische Bevölkerung “rein” und die Migrant:innen draußen zu lassen. 

Deshalb wird regierungsseitig schlecht über diese Geschäftsleute geredet – sie werden “Schlepper” genannt. Dass ihre Geschäftsgebahren oftmals zwielichtig und ihre Praktiken selbst menschenunwürdig sind tut diesem Befund keinen Abbruch – das gilt schließlich für die meisten Fällen, in denen tüchtige Geschäftsleute sich aufmachen, die kapitalistische Warenproduktion voranzubringen.

Abschiebung nach Unbekannt

Während also über die Ursachen und Bedingungen der Flucht nicht geredet wird, sprechen Politiker:innen viel lieber über den illegalen Status der Aktivitäten und deren moralische Verwerflichkeit. So auch in diesem Fall, der sich in Großbritannien abspielt. Die Tagesschau berichtet:

Diese Ansicht vertritt auch der konservative Abgeordnete Peter Bone, der in der Vergangenheit dem überparteilichen Arbeitskreis gegen Menschenhandel vorstand. Er hält die Abschiebungen für geradezu geboten, um den Schleppern das Handwerk zu legen: „Das ist moralisch absolut richtig. Ich habe jahrelang gegen die Schlepper gekämpft. Das sind die bösartigsten Leute dieser Welt. Alles, was wir tun können, um sie zu stoppen, sollten wir tun.“ Und so setzt die britische Regierung auf Abschreckung. Die Perspektive, am Ende in Ruanda zu landen, soll Flüchtlinge davon abhalten, überhaupt erst nach Großbritannien zu kommen. Die britische Regierung hat einen 120 Millionen Pfund schweren Deal mit Ruanda geschlossen. Dafür sollen die Menschen verschiedenster Nationalitäten, die Großbritannien abschiebt, in Ruanda unter anderem eine Unterkunft und ein Asylverfahren erhalten.

Tagesschau: London startet ersten Abschiebeflug nach Ruanda

Die Kaltschnäuzigkeit der britischen Regierung wird auch deutlich in der Kritik, die sich in Großbritannien an diesen Plänen breitmacht:

James Wilson von Detention Action, einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Asylbewerber, sagte dem Sender BBC: „Niemand sollte dafür bestraft werden, um Asyl zu bitten. Großbritannien ist ein Unterzeichner der Flüchtlingskonvention, und das Recht, Asyl zu beanspruchen, ist ein Menschenrecht. Das Ticket nach Ruanda ist nur ein Hinflug-Ticket, es gibt keinen Weg zurück nach Großbritannien, selbst wenn die Abgeschobenen in Ruanda als Flüchtlinge anerkannt werden sollten. Wir ziehen uns damit komplett aus der Verantwortung, Menschen zu schützen, die verfolgt werden.“

Tagesschau: London startet ersten Abschiebeflug nach Ruanda

Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat diese Abschiebeflüge nun zunächst gestoppt. Das konnte es, weil das EGMR beim Europarat angegliedert ist (dem Großbritannien noch angehört), und nicht bei der Europäischen Union. Die britische Regierung kann die Entscheidung der Menschenrechtler:innen derweil nicht nachvollziehen:

Trotz der Niederlage vor Gericht will die britische Regierung an ihrem umstrittenen Plan festhalten, Asylsuchende verschiedener Nationalitäten nach Ruanda auszufliegen. „Wir lassen uns nicht davon abschrecken, das Richtige zu tun und die Grenzen unserer Nation zu schützen“, sagte Patel. Man arbeite bereits daran, den nächsten Flug vorzubereiten.

Zeit Online: Britischer Abschiebeflug nach Ruanda gerichtlich gestoppt

Freiheit ist kein Menschenrecht

Auch die Regierung von Ruanda ist verwundert über das Urteil. In Ruanda sei es doch auch ganz schön, sagte eine Pressesprecherin – ganz so, als ginge es um eine Urlaubsreise:

Die Regierung in Ruanda zeigte sich verwundert angesichts der harten Kritik und des Widerstands der Betroffenen gegen ihre Ausreise. „Wir sehen es nicht als Bestrafung an, in Ruanda zu leben“, sagte eine Regierungssprecherin der britischen Nachrichtenagentur PA. Man sehe es nicht als unmoralisch an, Menschen eine neue Heimat zu bieten. Die Regierung von Machthaber Paul Kagame geht extrem repressiv gegen politische Abweichler vor.

Zeit Online: Britischer Abschiebeflug nach Ruanda gerichtlich gestoppt

Wie jede Geschichte um Abschiebungen und Grenzpolitik, so verweist auch dieser Fall auf die Grenzen der Menschenrechte. Denn wäre Bewegungsfreiheit tatsächlich ein “Menschenrecht” – wie könnte es dann an Staatsangehörigkeiten gebunden und von Grenzen unterbunden werden? Tatsächlich unterliegt sie aber der Staatsangehörigkeit. Auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es beispielsweise: “Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.” Alle Deutschen! Sonst niemand. Daher ist es den deutschen Behörden auch erlaubt, den Aufenthaltsstatus von Migrant:innen an bestimmte Orte zu binden.

Mit anderen Worten: Migrant:innen sind in gewissem Maße immer „Objekte“ der nationalstaatlichen Verfügungsgewalt. Staaten können ihnen sagen, wohin sie zu gehen haben (oder zumindest wohin nicht). Daran ändert sich auch im Falle einer Abschiebung in ein “Drittland” nichts grundsätzliches. Für moralische Überlegenheit ist hier also kein Platz.

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