In den letzten Jahren behaupten immer mehr Unternehmen ihre „Klimaneutralität“. Damit geht die Behauptung einher, dass sie entweder kein CO₂ ausstoßen oder den Ausstoß an anderer Stelle kompensieren würden. Es bleibt jedoch immer die Skepsis: Wie kann es sein, dass immer mehr Unternehmen plötzlich behaupten „klimaneutral“zu sein, wenn sich gleichzeitig am weltweiten CO₂ Ausstoß nichts signifikant ändert?
Neben der berechtigten Frage nach der Wirkung dieser Kompensationen stellt sich auch die Frage nach ihrer Umsetzung. Denn es stellt sich heraus, dass für den westlichen Konsum andere Menschen im globalen Süden verzichten müssen. So schreibt die Zeit:
Wer heute verkündet, klimaneutral zu sein, schafft das in der Regel nur mithilfe solcher Kompensationszahlungen: weil irgendwo auf der Welt jemand das CO₂ einspart, das vor Ort weiter ausgestoßen wird.
Der rätselhafte Wald, Zeit-Online
In dem zitierten Artikel aus der Zeit wird das Beispiel eines Dorfes in der Demokratischen Republik Kongo beschrieben. Ein Internationales Unternehmen namens Wildlife Works Carbon (WWC) kaufte dort große Flächen Wald, der durch diese Inbesitznahme geschützt werden soll. Dadurch kann WWC CO₂-Zertifikate an andere Unternehmen verkaufen, da durch diesen Protektionismus angeblich die Rodung des Waldes verhindert wurde. Das führt aber eben auch dazu, dass die dort lebende Bevölkerung nicht mehr an das Holz kommt. Der Ausstoß der westlichen Länder wird also dadurch kompensiert, dass die Bewohner der Länder mit dem geringeren Ausstoß pro Kopf den Gürtel enger schnallen sollen. Eine klassische Externalisierung von Problemen, die dem Kapitalismus inhärent sind. Im Gegenzug verspricht das Unternehmen eine Infrastruktur mit Brunnen, Schulen etc. zu bauen. Wie aus dem Artikel hervorgeht, scheint das jedoch, wenn überhaupt, nur sehr schleppend voranzugehen.
Effektivität fraglich
Ob das im Kampf gegen den Klimawandel helfen kann, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Erstens fügt es ja keine weiteren Wälder hinzu, es geht hier ausschließlich um den Erhalt von etwas, das es ohnehin bereits gibt. Wie diese Tatsache den immer steigenden Ausstoß von CO2 auffangen oder auch nur eindämmen soll, bleibt unklar. Denn der Wald wird ja nicht größer, seine Fläche bleibt wie zuvor, im Gegensatz zum steigenden CO₂-Ausstoß. Zweitens bleibt der angeblich gerettete Wald immer hypothetisch, die behauptete Fläche wird durch dubiose Rechnungen hochgejazzt, um den Eindruck zu erwecken, es werde viel Fläche gerettet. Der Ökonom Alain Karsenty kritisiert, dass der tatsächlich gerettete Wald immer unbeweisbar bleibt, da nie nachgewiesen werden kann, wie viel Wald denn nun wirklich ohne WWC verloren gegangen wäre.
Karsenty sieht darin ein Problem, das viele Kompensationsprojekte haben:
Niemand kann genau wissen, was passiert wäre, wenn es das Projekt nicht gegeben hätte“, sagt er. Und sieht noch eine weitere Herausforderung: Um zu errechnen, wie viel CO₂ das Projekt in Mai-Ndombe einspart, braucht man als Vergleichsgröße ein Referenzgebiet, das bereits abgeholzt ist – es stellt das Szenario dar, das man verhindern will. In seiner Studie schreibt Karsenty, dass Mai-Ndombe mit einem Rodungsgebiet verglichen wurde, das ganz anders beschaffen sei, da es in der Nähe von Straßen und Häfen liege. Auf dem Gebiet in Mai-Ndombe würde demnach viel weniger Wald abgeholzt als auf dem Vergleichsgebiet, selbst wenn Firmen hier mit Erlaubnis Holz schlagen würden – allein deshalb, weil es viel weiter entfernt ist von Städten, Fabriken und Transportwegen.
Der rätselhafte Wald, Zeit-Online
Das Beispiel bestätigt den Verdacht, den sowieso vermutlich jeder mal hatte, wenn er im Supermarkt auf die Verpackung der Produkte geguckt hat: Die angebliche „Klimaneutralität“ steht auf tönernen Füßen. Nur durch Augenwischerei und auf dem Rücken der Länder, die am wenigsten CO₂ pro Kopf ausstoßen, wird hier der Eindruck erweckt, dass sich alles durch Marktmechanismen regeln lassen könnte. Tatsächlich aber sind diese Mechanismen jedoch nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein, an dem sich aber auch noch eine goldene Nase verdient werden kann.