Klimagerechtigkeit
Überall gefordert - und am Ende will es doch niemand: Climate Justice. C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / Wikimedia

Gerechte Klimazerstörung!

In Diskussionen rund um die Klimakrise ist immer wieder das Schlagwort der „Klimagerechtigkeit“ zu hören bzw. zu lesen. Was sich dahinter verbirgt, ist gleichzeitig selbstverständlich und völlig absurd.

„Klimagerechtigkeit“, so erfahren wir bei Wikipedia, sei ein besonderer Aspekt der Umweltgerechtigkeit. Und die wiederum ist ein Konzept, das seit den 1980er-Jahren unter dem Oberbegriff „environmental justice“ vor allem in den USA diskutiert wurde. Bei diesem Konzept „geht es vor allem um die unterschiedliche Umweltbelastung verschiedener sozialer bzw. ethnischer Gruppen und der Orte, an denen sie leben“, so erfahren wir ebenfalls bei Wikipedia. Der Ausgangspunkt war dabei die Erkenntnis, dass es eine ungleiche Verteilung von Umweltbelastungen gibt und dass diese Ungleichheit dem Prinzip der Gleichheit der Lebensverhältnisse widerspricht, die moderne Staaten ihren Bewohner:innen versprechen.

Darin steckt eine zentrale und kaum hintergehbare Erkenntnis. Diese wird deutlich, wenn Wikipedia zur Klimagerechtigkeit bemerkt, diese betrachte “den gegenwärtigen menschengemachten Klimawandel als ein ethisches und politisches Problem […] anstatt lediglich als eine Umwelt- und technische Herausforderung.” Denn gerade in Bezug auf den Klimawandel ist klar, dass eine ganz grundlegende Schieflage vorherrscht.

Auf der einen Seite stehen die industrialisierten Staaten des Globalen Nordens, die im Rahmen ihrer hochgerüsteten Warenproduktion Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe in die Luft pusten. Sie profitieren von dem erwirtschafteten kapitalistischen Reichtum und den Lebensmöglichkeiten, die sich daraus ergeben.

Und auf der anderen Seite sind die Gesellschaften des Globalen Südens, die deutlich weniger Ressourcen verbrauchen und deren Anteil an der Luftverschmutzung vergleichsweise gering ausfällt, in denen dann aber ein nicht unerheblicher Teil der ökologischen Folgebelastungen der Klima- und Ressourcenkrise wirkmächtig werden: Inseln sind vom steigenden Meeresspiegel bedroht, Landschaften werden durch den Raubbau von Rohstoffen unbewohnbar gemacht etc.

Insofern ist es geradezu eine Selbstverständlichkeit, diesen Aspekt in der Debatte um die Klimakrise nicht nur zu benennen, sondern auch zu berücksichtigen. Komisch wird es nur, wenn es dann darum geht, wie so eine Berücksichtigung aussehen könnte. Denn aus dem Leitprinzip der Umweltgerechtigkeit ließe sich ja auch die Forderung entwickeln, es sei nun das Recht der Staaten im Globalen Süden, nun ebenfalls ihren gerechten Anteil an der Umweltzerstörung beanspruchen zu dürfen.

Ein gutes Beispiel für diese Position gibt der indische Premierminister Narendra Modi ab. Der interpretierte das Konzept der Klimagerechtigkeit bei seiner Rede bei der Pariser Klimakonferenz in genau diesem Sinne. Rainer Hörig fasste die Argumentation seinerzeit in der taz wie folgt zusammen:

Als ein selbst ernannter Sprecher der „sich entwickelnden Länder“ fordert Indien „Klimagerechtigkeit“. „Die Gerechtigkeit verlangt, dass es mit dem bisschen Kohlenstoff, den wir noch sicher verbrennen können, den Entwicklungsländern erlaubt ist, zu wachsen“, sagte Modi bei seiner Rede in Paris. Die Industrieländer seien durch ihre klimaschädlichen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung vor 150 Jahren zu Wohlstand gelangt, die Folgen müssten jedoch heute vor allem die ärmeren Länder des Südens wie Indien tragen. Diese hätten also einen Anspruch darauf, für die Folgen des Klimawandels entschädigt zu werden.

„Wir erwarten von den Industrieländern, dass sie ihre Emissionen senken, denn wir müssen unsere erhöhen, damit sich unsere Wirtschaft entwickeln und die Armut bekämpft werden kann“, meint etwa der indische Klimaforscher Rajendra Pachauri, langjähriger Vorsitzender des Weltklimarates IPCC.

Rainer Hörig: Indien will Gerechtigkeit

In der Interpretation der indischen Regierung bedeutet Klimagerechtigkeit das Recht auf industrielle Entwicklung jeder Volkswirtschaft. Da nun aber gerade der Drang der kapitalistischen Ökonomie zur „Entwicklung“ und damit zum „Wachstum“ den Kern der derzeitigen Klimakrise ausmacht, würde eine Verwirklichung dieser Position das Ende aller Hoffnungen bedeuten, die globalen durchschnittlichen Temperaturanstieg bei unter drei Grad zu halten. Denn bereits jetzt ist Indien vom Gesamtausstoß an Schadstoffen gut dabei – auch wenn sich das aufgrund der großen Bevölkerungszahl noch nicht in nennenswerten Verschmutzungsmengen pro Kopf ausdrückt. Hörig fasst zusammen:

Unter den größten Klimasündern belegt Indien zur Zeit den dritten Platz – mit großem Abstand zu den USA und China. Vehement reklamiert die Regierung bei internationalen Verhandlungen gleichwertige Quoten von „Verschmutzungsrechten“ für jeden Erdenbürger. Wissenschaftler ermittelten, dass bei der gegenwärtigen Zahl der Erdbewohner jeder jährlich bis zu 2 Tonnen klimaschädliche GaseCO2-Äquivalentproduzieren könnte, ohne dass das Klima dadurch zu Schaden käme.
Ein Bürger Indiens ist statistisch für 1,5 Tonnen CO2 jährlich verantwortlich, ein US-Amerikaner dagegen für 12 Tonnen, ein Deutscher für 5. So gesehen hätte Indien noch viel Raum, seine Emissionen zu steigern. Andere Länder müssten dafür deutlich kürzer treten, um das Weltklima nicht zu schädigen. Seit Beginn der internationalen Klimaverhandlungen weigert sich Indien, eine Emissionsobergrenze festzulegen. Die Regierung fürchtet, eine solche könnte das Wirtschaftswachstum behindern. Delhi plant nämlich, Indiens Kohleförderung bis 2020 auf 1,5 Milliarden Tonnen pro Jahr zu verdoppeln. Rund 70 Prozent der Elektrizität wird heute durch die Verbrennung billiger einheimischer Kohle gewonnen. Und dabei sind rund 300 Millionen Menschen noch gar nicht an das Stromnetz angeschlossen.

Rainer Hörig: Indien will Gerechtigkeit

Nun ist Narendra Modi als wirtschaftsliberaler Rechtsausleger schnell als reaktionärer Fanatiker gebrandmarkt. Doch auch aufseiten der politischen Linken gibt es Versuche, das Recht auf Wachstum und Verschmutzung mit antiimperialistischer Geste in Anschlag zu bringen. Eine solche Position, die den Klimawandel „als ein ethisches und politisches Problem“ (Wikipedia) begreift, verschafft den lateinamerikanischen Volkswirtschaften auf diese Weise moralischen Rückenwind im Kampf um Verschmutzungsrechte und damit im Kampf um das ökonomische Überleben. Steffen Vogel fasste die Argumentation des lateinamerikanischen Linksbündnisses Alba damals wie folgt zusammen:

Boliviens Präsident Evo Morales betonte die Verantwortung der kapitalistischen Weltwirtschaft für den Klimawandel. Er stellte das Manifest des Klimagipfels der Völker vor, zu dem im Oktober 8.000 Vertreterinnen und Vertreter von sozialen Bewegungen und Regierungen aus 50 Ländern nach Bolivien gereist waren. „Der Kapitalismus ist die Formel, nach der unsere Spezies zu Grunde geht“, so Morales. Die kapitalistischen Regierungen seien in der Pflicht, die Zerstörung der „Pachamama“ (Mutter Erde) zu stoppen.

Unterstützung bekam Morales von seinem ecuadorianischen Amtskollegen Rafael Correa. Er erinnerte daran, dass reiche Länder 38 mal so viel CO2 wie arme Länder ausstoßen. Correa stellte den Begriff der Umweltgerechtigkeit in den Mittelpunkt und forderte die Einrichtung eines Umweltgerichtshofs: „Nichts rechtfertigt, dass es Gerichtshöfe für den Schutz von Investitionen und die Bezahlung von finanziellen Schulden gibt, aber keinen Gerichtshof für Umweltgerechtigkeit und die Begleichung von Umweltschulden.“ Zugleich verteidigte er das ecuadorianische Modell des Buen Vivir: „Einsparungen in den benachteiligten Ländern sind nur möglich, wenn dort zugleich der Lebensstandard der Bevölkerung steigt.“

Auch die Erklärung der linken Staatenallianz Alba stellt klar, dass die Entwicklungsländer Opfer eines Problems seien, das sie nicht verursacht hätten. Daher müssten die historischen Beiträge der industrialisierten Welt zum Klimawandel betrachtet werden und auf den Entwicklungsbedarf der Länder des Südens Rücksicht genommen werden. Der Allianz gehört auch Venezuela als fünftgrößter Erdölproduzent der Welt an.

Steffen Vogel: Lateinamerika fordert in Paris Klimagerechtigkeit

Diese Position ist insofern verständlich, als sie mit den Herausforderungen der globalen Staatenkonkurrenz rechnet und daher auch nachvollziehbar. Sie macht jedoch zugleich deutlich, dass eine Lösung der Klimakrise kaum innerhalb dieser Staatenkonkurrenz zu haben sein wird. Eine Gesellschaftsform, die alle Menschen und Institutionen in vereinzelte Konkurrenzsubjekte auflöst, wird kaum in der Lage sein, die Folgen dieser Konkurrenz adäquat wieder aus der Welt zu schaffen.

Ein Kommentar

  1. Das Auffällige an der Position der „Klimagerechtigkeit“ ist das, was sie längst voraussetzt und worin sie sich affirmativ bewegt. Da wird gar kein Gedanke mehr daran verschwendet, woher die Ruinierung des Klimas und der sonstigen Umwelt rührt, und wie man dann den Schaden verhindern könnte. Der Schaden wird hingenommen, aber um dessen Verteilung gerechtet. Das liegt am Fehlurteil, industrielle Entwicklung und Wohlstand ginge an und für sich mit der Ruinierung natürlicher Lebensgrundlagen und einem „menschengemachten“ Klimawandel einher, wo aber tatsächlich die kapitalistische Anwendung (!) der Industrie dafür verantwortlich zeichnet – nicht die menschliche Industrie überhaupt, gar das „Anthropozän“. Die kapitalistische Rechnungsweise als Grund für die Umweltruinierung ist mit solch ahistorischen Verschleierungen („menschengemacht“, „industrielle Entwicklung“, „Anthropozän“ usw.) fein aus dem Blickfeld.

    Wenn der indische Klimaforscher meint, Indien müsse seine Emissionen „erhöhen, damit sich unsere Wirtschaft entwickeln und die Armut bekämpft werden kann“, dann ist das obendrein ein Fehlurteil. Als ob Kapitalismus dem Wohlstand der Leute dienen würde, und nicht umgekehrt, den Ausschluss der Leute vom gesellschaftlichen Reichtum bewirkt; der gleichzeitig immer mehr wächst und damit die Armut (relativ) immer mehr vergrößert. Als ob der Erfolg der Wirtschaft allen (oder überhaupt automatisch) höhere Löhne oder Arbeitsplatzsicherheit ermöglichen würde.

    „Auf der einen Seite stehen die industrialisierten Staaten des Globalen Nordens, die im Rahmen ihrer hochgerüsteten Warenproduktion Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe in die Luft pusten. Sie profitieren von dem erwirtschafteten kapitalistischen Reichtum und den Lebensmöglichkeiten, die sich daraus ergeben.“
    Da müsste man noch durchaus unterscheiden, welche Subjekte hier gemeint sind. Die Staaten bzw. die politischen Gewalten des globalen Nordens und deren Wirtschaft profitieren durchaus von der rücksichtslosen Klimaverschmutzung durch die Produktion, deren negative Folgen sie ggf. auch langfristig weniger trifft als Länder im globalen Süden. Dass die Lohnabhängigen im Westen irgendwie von der industriellen Entwicklung „profitieren“ würden, deshalb bessere „Lebensmöglichkeiten“ hätten, wäre aber falsch (wobei mir unklar ist, was mit dem Begriff genau gemeint ist).

    Richtig arbeitet der Artikel heraus, dass mit dem Stichwort Klimagerechtigkeit „das Recht auf Wachstum und Verschmutzung mit antiimperialistischer Geste in Anschlag“ gebracht wird von Schwellenländern bzw. ihren ideellen Interessenvertretern. Es scheint so als würden diese Länder geradezu auf einen Konkurrenzvorteil pochen, wenn die erfolgreichen Industrienationen ihre Emissionen senken und damit ihr Wachstum herunterkurbeln sollen. Darin steckt zudem eine Wahrheit, dass nämlich die Industrienationen allenfalls bereit sind ihr Wachstum einzuschränken, um Emissionen zu senken, wenn die anderen relevanten Wirtschaftsgrößen mitziehen – ansonsten würde sich ein Land Standortnachteile einbrocken, die obendrein einen geringen Effekt hätten solange die anderen Länder weiterhin wie bisher die Atmosphäre verpesten. Und natürlich, solange die Umweltfolgen nicht als dramatisch und kurzfristig genug eingeschätzt werden, wird die kapitalistische Staatsräson namens „Wachstum“ ohnehin nicht eingeschränkt.

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