Auf ARTE lief vor Kurzem eine Dokumentation über Elektroautos. Die Botschaft der Doku war unmissverständlich: Angesichts der fundamentalen Klimakrise braucht es sehr weitgehende gesellschaftspolitische Schritte. Einfach nur Verbrennermotoren durch Elektromotoren zu ersetzen wäre vor diesem Hintergrund nicht mal im Ansatz ausreichend. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist auch die Produktion von E-Autos klima- und umweltschädlich, zum anderen werden die sozialen und ökologischen Kosten auch in diesem Fall in den Globalen Süden ausgelagert. Die Produktion der Rohstoffe, das zeigt die Doku sehr eindrücklich, zerstört Natur und Mensch. Allerdings nicht in Europa, sondern in Chile und Bolivien.
Getroffenen Hunden bellen, meint der Volksmund. Das war auch nach dieser Doku der Fall. Innerhalb kürzester Zeit produzierte eine ebenso elektorfreundliche wie verbrennerfeindliche Autolobby eine ganze Reihe an Youtube-Spots. In verschiedensten Beiträgen wird der Eindruck erweckt, bei der Doku handele es sich um eine Art von der Öl- und Atomlobby finanzierten Spielfilm zur Stimmungsmache gegen unsere einzige Chance, die Klimakrise aufzuhalten. Der Beitrag sei unseriös und manipulativ. Präsentiert wird diese Behauptung dann allerdings in ebenso unseriösen und manipulativen Beiträgen, die nicht selten auf den Seiten von bekennenden Elektroauto-Fans gestreamt werden.
Dabei sagen die Macher*innen der ARTE-Doku doch sehr deutlich, wo sie das Problem verorten: „Unser Wachstumsmodell“ stünde infrage. Und damit, so die Stimme aus dem Off, „ein Teil unseres Komforts“ (Min 1:27). Genau hier scheint mir der Hund (genau der, der eben noch gebellt hat) begraben zu liegen. Wer nicht auf die lieb gewonnene Art zu Leben und Arbeiten verzichten will, muss sich Lösungen für die Klimakrise einbilden, die innerhalb des Bestehenden liegen. Doch das wird nicht reichen. Wir müssen weiter denken und uns Fragen, wie wir unser Leben, unsere Produktion, unsere Mobilität und unser Wohnen gestalten wollen. Erst dann werden wir eine Chance haben, der Klimakrise tatsächlich zu begegnen.
Besonders tragisch sind vor diesem Hintergrund die Beiträge von Volker Quaschning. Der ist Wissenschaftler und hat sich im Bereich der Klimafolgenforschung einige Meriten erworben. Und doch klingt er wie ein Lobbyist aus dem Hause Musk, wenn er die Vorteile des E-Autos schön- und seine Nachteile kleinredet. „Sehet doch“, so heißt es dann sinngemäß nicht nur bei ihm, „die anderen sind doch viel schlimmer. Die verbrauchen noch mehr Naturressourcen und verursachen noch mehr Leid als die Produktion von elektronischen Automobilen.“ Dabei sollte doch auch und gerade ihm das in der Öko-Bewegung vieldiskutierte Phänomen des „Rebound-Effektes“ bekannt sein. Wenn die Leute zwar mit dem Elektroauto Ressourcen einsparen, dafür aber der Trend zum Drittwagen geht, ist am Ende rein gar nichts gewonnen. Doch wie so oft wird dergleichen immer vergessen, sobald es um gesellschaftskompatible Lösungsmodelle geht.
Doch was soll das für eine Botschaft sein? Wenn die zentrale Feststellung darin besteht, dass jedwede Produktion innerhalb einer kapitalistisch organisierten Ökonomie dem Menschen und der Natur schadet, wie soll dann die Produktion von Elektro-Autos auch nur ansatzweise einen Ausweg aus dieser (selbst-)zerstörerischen Situation weisen? Indem sie den Autoverkehr zum mit Abstand wichtigsten Teil des Verkehrswesens gemacht hat, hat sich diese Gesellschaft ausgerechnet auf die ressourcenträchtigste Verkehrsform festgelegt. Es gilt diese falsche Ausrichtung zu korrigieren, der Austausch des Antriebsaggregats reicht da nicht aus.
Dann brauchen wir uns auch keine Gedanken mehr darüber machen, ob die Abwendung der Klimakrise vielleicht zu unliebsamen Einschränkungen führen muss. Die Doku gibt diese Schlagrichtung vor, denn auch sie kann sich eine gesellschaftliche Organisierung jenseits des Kapitalismus nicht vorstellen:
Leider ist nicht nur im herrschenden Diskurs, sondern auch unter manchen, die auf der Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus sind, die Auffassung verbreitet, ›wir alle‹ lebten ›über unsere Verhältnisse‹ und müssten uns deshalb in Zukunft ›massiv einschränken‹. Doch wer Verzicht predigt, sieht die Wirklichkeit schon durch die Brille der spezifisch kapitalistischen, abstrakten Reichtumsform. Sobald man deren Ablösung durch die disposable time als neu zu installierendes Reichtumskonzept ins Auge fasst, ergibt sich eine ganz andere Perspektive: Wir leben nämlich heute ganz im Gegenteil weit unter unseren Möglichkeiten. Nicht Verzichten ist angesagt, sondern endlich aufhören mit dem Verzichten. Heute verzichten wir auf unendlich viel Lebenszeit, auf reiche soziale Beziehungen, auf das gute Leben für Alle, nur um im nicht enden wollenden Konkurrenzkampf zu bestehen. Zu diesen reicheren sozialen Beziehungen wird selbstverständlich auch die Möglichkeit gehören, sich weltweit zu vernetzen und den Globus zu bereisen und kennenzulernen. Sicher nicht so, wie das heute ein insgesamt recht kleiner Teil der Menschheit macht, nämlich schnell mal mithilfe energiefressender, umweltzerstörender und nervig unbequemer Maschinen durch die Welt zu hetzen, weil man sich ja schließlich schon bald wieder in die Arbeitsmühle begeben muss.
Lothar Galow-Bergemann, Ernst Lohoff:
Gestohlene Lebenszeit. In: Shutdown. Klima, Corona und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus