Bild: Twitter

Eine Seefahrt die ist lustig – nicht.

Das Container-Frachtschiff Ever Given hat sich im Suez-Kanal festgefahren. Das ist blöd für die Leute an Bord, behindert aber zudem den freien Marktverkehr der warenproduzierenden Weltordnung. Eine überschaubare Havarie mit eindrucksvollen Folgen für die Weltwirtschaft.

Er hoffe, so schrieb ein User auf Börsennews.de kurz vor der „Befreiung“ des Schiffes, über Nacht auf ein „Wunder“. Wenn die Börse, das Barometer der rationalen und vernunftorientierten kapitalistischen Wirtschaftsweise, bereits auf ein Wunder hofft, muss etwas im Argen liegen.

Die Diskussionen auf Twitter rund um das Schiffsunglück waren dann auch voller Anspielungen auf Monster- und Superheldenfilme. Ohne dass der japanische Superheld den Karren aus dem Dreck zieht, schien das Maleur nicht behoben werden zu können:

Superheld Goku soll den freien Warenverkehr retten. Twitter

So viel Dramatik musste wohl sein, um die Dimension des Unglücks bildlich deutlich zu machen. Godzilla und Kingkong gemeinsam könnten es vielleicht auch richten, fanden nicht zufällig die Macher*innen des gerade durch die Kinocharts stürmenden Blockbusters.

Nur Godzilla und Kingkong gemeinsam sind dieser Aufgabe gewachsen. Twitter

Apropos Dimension: Auch wenn das Bild lustig sein mag – es unterschätzt die Dimension des Technik-Fetischismus, die hinter den riesigen Containerschiffen steht, die den Suezkanal durchkreuzen. Darauf haben dann andere Twitter-User*innen auch prompt hingewiesen:

Godzilla ist ein echter Lauch, verglichen mit modernen Containerschiffen. Twitter

Und tatsächlich waren es dann ja die glückliche Fügung bzw. der Mond, der bei der Bergung halft. Am Ende war es nicht zuletzt einer glücklichen Sonne-Erde-Mond-Konstellation zu verdanken, dass sich die Waren wieder auf den Weg machen können. Die Folgen lassen sich zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Text entsteht, noch nicht abschätzen. Bereits vor der Bergung des Schiffes hatte die FAZ nachgerechnet:

Damit steigen die Kosten für die Weltwirtschaft stündlich weiter. „Das Problem liegt darin, dass die Blockade im Suezkanal das Fass zum Überlaufen bringt. Die Unterbrechung der Lieferketten seit dem Beginn des Jahres könnten das reale Wachstum des Welthandels 1,4 Prozentpunkte oder rund 230 Milliarden Dollar kosten – zusätzlich zu der aktuellen Situation im Suezkanal“, warnen die Analysten der Allianz-Versicherung. „Erste Berechnungen ergeben, dass der Verkehr in den Westen täglich rund 5,1 Milliarden Dollar wert ist, derjenige Richtung Osten 4,5 Milliarden Dollar. Unseren Berechnungen nach dürfte jede Woche Schließung das jährliche Wachstum des weltweiten Handels zwischen 0,2 und 0,4 Prozentpunkte kosten“, fahren sie mit Blick auf die direkten Folgen des Festsitzens des 400 Meter langen Großfrachters fort.

Die Kanalbetreiber selber kostet die Blockade rund 15 Millionen Dollar täglich an Gebühren. „Das Ganze ist eine schwere Belastung der sowieso schon strapazierten Lieferketten, die sich gerade von den Corona-Folgen erholen. Dauert es Wochen, dürfte daraus etwas werden, das wir eine Katastrophe nennen“, warnt Rahul Kapoor, zuständig für den Bereich Seehandel bei IHS Global Insight in Singapur.

Christoph Hein: Heck von „Ever Given“ im Suezkanal befreit, Bug sitzt noch fest

Die Berechnungen sind bemerkenswert und machen deutlich, worum es im Kapitalismus geht. Wachstum des Welthandels in Prozentpunkt und Milliarden von Dollar stehen auf dem Spiel. Worin der tatsächliche Schaden auf einer stofflichen Ebene besteht, ist damit freilich noch nicht benannt. Doch der ist gar nicht zentral. Wenn Lieferketten reißen, stocken die Verteilung der Waren und damit auch die Geldflüsse, die dadurch ermöglicht werden sollten.

Von der Blockade waren in Deutschland insbesondere die Chemie- und Autoindustrie sowie der Maschinen- und Anlagenbau betroffen. Die Branchen bekommen Bestandteile für ihre Produktion aus Asien, die über den Suezkanal transportiert werden, hieß es aus dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Unternehmen planen demnach bei Seetransporten zwar zwei bis fünf Tage als Puffer ein. Bei einer längeren Sperrung drohe aber zeitweise ein Stillstand der Produktion. Die Lage für die deutsche Industrie sei auch ohne die Sperrung bereits angespannt gewesen.

Taz: Suezkanal wieder frei

Das Stocken des Warenverkehrs im Suezkanal zeigt, wie anfällig und prekär die postfordistischen Lieferketten organisiert sind. Das ist mittlerweile sogar dem Handelsblatt aufgefallen:

Die neue Suez-Krise war nur der vielleicht sichtbarste Engpass der stark ins Stocken geratenen Globalisierung. Ob bei Impfstoffen, petrochemischen Vorprodukten, Computerchips oder anderen Hightech-Erzeugnissen – überall hakt es momentan.

Torsten Riecke: Die Suez-Krise zeigt den Preis der Globalisierung

Derzeit, so können wir lesen, kommen gerade die Schiffe an, die es noch vor der Havarie durch den Kanal geschafft haben. Doch bald wird sich das Ausbleiben der Schiffe bemerkbar machen. Und wenn die Schiffe eine Woche verspätet in Deutschland ankommen, verzögern sich auch die nachfolgenden Anschlusstransporte:

Zu erwarten sei, dass ab Mitte der Woche nur noch wenig Fracht aus Asien nach Deutschland kommt. Zwei Wochen danach sei dagegen mit ersten Überlastungen durch das Wiederhochlaufen zu rechnen.

Das gelte anschließend auch für den Binnenverkehr in Europa, da zu viele Schiffe gleichzeitig entladen werden müssen. „Während dieses gesamten Zeitraums wird ein Mangel an leeren Containern in Europa herrschen“, warnen die Transporeon-Experten.

An den Stahlboxen mangelt es ohnehin schon seit vergangenem Herbst, weil sich ihre Umläufe durch die Verwerfungen der Corona-Pandemie deutlich verlängert haben. Teilweise mussten Speditionskunden vor Weihnachten happige Zusatzgebühren zahlen, um überhaupt Container gestellt zu bekommen.

Christoph Schlautmann: Der Suezkanal ist wieder frei – doch die Probleme für die Wirtschaft beginnen erst

Mitte April könnte es dann auch zu Engpässen in einige Supermärkten kommen. „Importeure wie der Intertrading-Chef Oliver Guttmann, der Discounter wie Aldi und Lidl mit Aktionsware aus Fernost beliefert“, so lesen wir, „erwarten ab Mitte April deshalb Lücken in den Regalen des Einzelhandels.“ Nicht einmal die Nutzung unserer Computer scheint dauerhaft gesichert. „Durch die Umplanung der Frachtwege, bestätigt Notebooksbilliger-Chef Oliver Hellmold, könnte es aber bald zu Kapazitätsengpässen und höheren Frachtraten kommen.“ Notebooksteurer, sozusagen.

Soviel also zu den Folgen der Katastrophe. Doch diesen Folgen gehen immer auch Ursachen voraus. Die können wir sehr leicht dechiffrieren, wenn wir uns nur die Titel und Namen der Beteiligten ansehen. Wenn der Intertrading-Chef von Lidl und Aldi beunruhigt ist und der Vorstandsvorsitzende des Computer-Discounters Notebooksbilliger.de um den Nachschub bangt, dann erkennen wir: Der kostengünstige Transport der Waren rund um den Globus ist ein zentraler Aspekt der gängigen Akkumulationsstrategien. Dass die Eigentümerin des Schiffes die japanische Leasingfirma Shoei Kisen Kaisha ist, die das Schiff der taiwanesischen Firma Evergreen Marine zur Misshandlung der zumeist indischen Schiffsbesatzung Beschäftigung unterbezahlter und hochgradig prekarisierter Schiffsarbeiter*innen überlassen hat, verstärkt diesen Eindruck noch einmal.

Billige Mobilität für Waren, darum geht es schlussendlich. Denn in einer Ökonomie, in der die technische Produktivität steigt, wodurch zeitgleich die Gewinnmargen schrumpfen, wird der Kampf um die verbleibenden Marktanteile mit harten Bandagen ausgefochten. Deshalb sind die billigen und schnellen Schiffspassagen durch den Suez-Kanal so wichtig für die Weltwirtschaft.

Der 193 Kilometer lange Kanal ist die kürzeste Verbindung zwischen Europa und Asien und der entscheidende Korridor für Rohöl und Importwaren nach Europa. Dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge fahren 98 Prozent der Containerschiffe durch den Suezkanal, wenn sie zwischen Deutschland und China unterwegs sind. Etwa acht bis neun Prozent der gesamten deutschen Warenimporte und -exporte gehen durch die Wasserstraße.

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Und wenn es schiefgeht, dann übersteigenden die akkumulationsbedingten Folgekosten den rein stofflichen Schaden um ein Vielfaches. Was genau an dieser Art zu produzieren rational und vernünftig sein mag, möge mal jemand erklären. Nachvollziehbar ist das alles schon lange nicht mehr.

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