Der Begriff des Rebound kommt aus dem Basketball und bezeichnet dort den Ball, der vom Brett zurückprallt. Pixabay

Die Gier nach mehr – Der Rebound-Effekt

Bereits am Beginn der kapitalistischen Ära steht ein Phänomen, das ihn bis heute prägt und daher noch immer viel diskutiert wird. Um den noch zarten Pflänzchen der Warenwirtschaft zur Ausdehnung zu verhelfen, brauchte es Edelmetalle, die dann die Funktion des allgemeinen Tauschmittels einnehmen konnten und sollten. Und so wurden die Kapazitäten zum Abbau von Silber in Europa deutlich erhöht: Es kam zum sogenannten Silberboom.

Damals waren in Mitteleuropa 100.000 Arbeiter im Bergbau und in der Metallgewinnung beschäftigt und Zahllose weitere in unterstützenden Gewerben. Die Folgen für die Umwelt ließen nicht lange auf sich warten und waren verheerend. Georgius Agricola, der Begründer der modernen Geologie, berichtet:

Wälder und Haine werden umgehauen; denn man bedarf zahlloser Hölzer für die Gebäude und das Gezeug sowie um die Erze zu schmelzen. Durch das Niederlegen der Wälder und Haine aber werden die Vögel und anderen Tiere ausgerottet, von denen sehr viele den Menschen als feine und angenehme Speise dienen. Die Erze werden gewaschen; durch dieses Waschen aber werden, weil es die Bäche und Flüsse vergiftet, die Fischer entweder aus ihnen vertrieben oder getötet.

zit. n.: Jason W. Moore: Entwertung, S. 99

Wir sehen: Durch die sich ausbreitende kapitalistische Naturbeherrschung wurden bereits in der frühen Neuzeit die menschlichen Lebensgrundlagen zerstört. Zur selben Zeit wurden auch die neuen Kolonialgebiete in Lateinamerika zur Produktion edler Metalle genutzt. Weithin bekannt ist das Beispiel von Potosi, einer im heutigen Bolivien liegenden Stadt. Sie lag direkt neben einem großen, an Silbervorkommen reichen Berg. Weshalb der bis heute als Cerro Rico bekannt ist.

Ebenso wie das Silber aus dem Berg entfernt wurde, wurden die Wälder von der Erdoberfläche entfernt. Denn das Holz wurde benötigt, um das abgebaute Silbererz in holzbetriebenen Öfen zu schmelzen. Zur Erhöhung der Produktion wurde schließlich noch ein weiteres Verfahren zur Silbergewinnung entwickelt: Die Amalgamation von Quecksilber.

Und so führte Vizekönig Toledo an der Grenze eine neue, Brennstoff sparende Technologie bei der Silbergewinnung ein: die Amalgamation von Quecksilber. […] Obwohl es sich bei der Quecksilberamalgamation im Gegensatz zum Schmelzen um einen ,kalten‘ Prozess handelt, stieg die Entwaldungsrate an. Pro Pfund Silber wurde zwar weniger Brennstoff benötigt, aufgrund der enormen Produktionssteigerung – zwischen 1575 und 1590 um 600 Prozent – nahm der Brennstoffverbrauch jedoch dramatisch zu. Die kleinen Schmelzöfen und die Quecksilberamalgamation bei der Silbergewinnung waren zusammen so gefräßig, dass im Jahr 1590 aus einer Entfernung von 500 Kilometern herbeigeschafft werden musste. Anfang des 16. Jahrhunderts konnte man kaum mehr erahnen, dass es im Gebirge von Potosí einmal Wälder gegeben hatte – geschweige denn eine pulsierende indigene Zivilisation.“

Jason W. Moore: Entwertung, S. 113

Der Verbrauch von Natur, hier in Form von Wäldern, nahm im Laufe der Zeit zu. Warum? Weil die Produktion stetig ausgedehnt wurde, um dem wachsenden Bedarf an Edelmetallen gerecht zu werden. Auch eine technische Innovation, die den Ressourcenverbrauch pro hergestelltem Silberbarren senkte, konnte die Tendenz nicht aufhalten. Der Verbrauch von Natur nahm in Folge der notwendig steigenden Produktion stetig zu.

Was eingespart wird, wird woanders wieder ausgegeben

Noch heute kennen wir diesen Mechanismus, er wird nur gänzlich anders verstanden. Er wird diskutiert als sogenannter „Rebound-Effekt“ (vom englischen rebound = zurück- oder abprallen, ganz so wie beim Basketball). Damit ist gemeint, dass die Einsparungen durch die technische Verbesserung durch vermehrten Konsum wieder ausgeglichen werden. Das klassische Beispiele ist der „direkte Rebound-Effekt“. Er kommt zum Tragen, wenn die Motoren der Autos zwar immer effizienter werden, die Autos dafür aber 1. immer mehr, 2. immer größer werden und dann 3. immer längere Fahrstrecken zurücklegen. Ein anderes Beispiel ist der „indirekte Rebound-Effekt“. Der liegt dann vor, wenn die Leute aufgrund des gesparten Geldes (weil sie jetzt Ökostrom nutzen und der subventioniert wird) mehr Geld haben um andere umweltschädliche Waren zu konsumieren (etwa einen zweiten Fernseher oder eine Urlaubsreise). So weit, so klar.

Allerdings hat die Debatte um den Rebound-Effekt eine entscheidende Schwäche: Das akkumulationstheoretische Kernproblem bleibt dort völlig ausgeblendet. Stattdessen steht die logisch eigentlich nachgeordnete Frage des Konsums im Zentrum und muss als Erklärung herhalten. Der Rebound-Effekt wird üblicherweise als das Ergebnis der »Rückwirkungen« von »Kostenein­sparungen« auf das »Kaufverhalten und den Gebrauch der Produkte« verstanden. […]

In dieser Interpretation steht der reale Zusammenhang insofern auf dem Kopf, als die Dynamik der kapitalistischen Selbstzweckbewegung keineswegs vom Konsum ausgeht, sondern von der Produktion, die dem Diktat der endlosen Akkumulation von Kapital unterliegt.

Ernst Lohoff: Wie Sand am Meer (in: Shutdown, S. 112)

Der Gedanke, das Problem vom Konsum her aufzurollen, erscheint uns auf den ersten Blick sehr vertraut. Das liegt daran, dass es sich dabei um das Kerntheorem des Neoliberalismus handelt. Und der verseucht seit Jahrzehnten unsere Schulbücher, die Talkshows und das Feuilleton.

Ernst Lohoff erklärt, wie sich die kontraproduktiven Folgen technischer Innovationen auf eine andere Weise viel treffender fassen lassen:

Was als direkter Re­boundeffekt firmiert, ist primär eine Unternehmensstrategie. Wenn Waren billiger werden, dann ist das in der Regel auf eine Produktivitätssteigerung zurückzuführen, die den Arbeitsaufwand pro einzelner Ware und damit auch den in ihr dargestellten Wertanteil sinken lässt. Da dieser Effekt aber mit dem Zwang zur ständigen Steigerung der Wertmasse kollidiert, ist jedes Unternehmen bestrebt, ihn zu kompensieren. Das kann auf zwei Wegen geschehen, entweder versuchen die Unternehmen durch eine Erhöhung der abgesetzten Stückzahl den sinkenden Wert der Einzelware auszugleichen, oder die Produkte werden aufwendiger gestaltet (größere Fernseher sind dafür ebenso ein Beispiel wie der Rüstungswettlauf bei Pkws). Natürlich müssen diese Produkte auch abgesetzt werden, damit der in ihnen darge­stellte Wert auch realisiert werden kann. Insofern ist das Konsumverhalten nicht einfach irrelevant. Doch ist es nicht die Ursache des permanenten Wachstums, sondern entspringt selber dem gesamtgesellschaftlichen Ak­kumulationszwang. […]
Aber nicht nur der direkte, auch der ›indirekte Reboundeffekt‹ lässt sich problemlos akkumulationstheoretisch dechiffrieren. Hinter dem ›direkten Reboundeffekt‹ verbergen sich Unternehmensstrategien, mit denen die von Produktivitätssteigerungen betroffenen Branchen selber das Schrumpfen der Wertmasse kompensieren. Der ›indirekte Rebound­effekt‹ beschreibt demgegenüber, was in der vom Akkumulationszwang gekennzeichneten kapitalistischen Wirtschaft geschehen muss, wenn dieser Ausgleich nicht greift. Zusätzliche Akkumulation in anderen Branchen muss dann die sinkende Wertproduktion in den von Produktivitätsschüben betroffenen Branchen substituieren.

Ernst Lohoff: Wie Sand am Meer (in: Shutdown, S. 112f.)

Der „gesamtgesellschaftliche Akkumulationszwang“, von dem Lohoff hier redet, ist die dem Kapitalismus eingeschriebene Notwendigkeit, aus Geld mehr Geld zu machen. Diese Notwendigkeit bringt eine Ausdehnung der Warenproduktion mit sich und wirkt als zentrales Antriebsmittel für die steigende Vernutzung der Natur. Dass die Konsumtheorie den Zusammenhang auf den Kopf stellt, wird dabei auch daran deutlich, dass die Unternehmen in der Produktion vielfältige Tricks anwenden, um den Warenausstoß zu erhöhen, ohne das die Konsument*innen dabei ihre Finger im Spiel hätten.

Man denke nur an das viel diskutierte Phänomen der ›geplanten Obsoleszenz‹. Ob Drucker, Waschmaschine oder Fernseher, bei vielen Produkten verkürzen die Hersteller ganz gezielt die Lebensdauer durch technische Kunstgriffe. Der frühzeitige Ersatzb­edarf schraubt sowohl den Absatz der jeweiligen Branche nach oben als auch deren Ressourcenbedarf, ohne dass ›König Kunde‹ durch irgendeinen eingebildeten oder tatsächlichen zusätzlichen Gebrauchswert geködert werden müsste.

Ernst Lohoff: Wie Sand am Meer (in: Shutdown, S. 112f.)

Insofern ist es nicht falsch, vom Rebound-Effekt zu sprechen. Wir müssen uns nur klar machen, dass da nicht willentlich getroffene Konsumentscheidungen zurückprallen (das wäre ja auch schwer als Automatismus vorstellbar), sondern ein ökonomisches System, das zwar aus sozialen Beziehungen hervorgegangen ist, sich ihnen gegenüber aber verselbständigt hat. Dieser Selbstzweck, aus einem Euro zwei zu machen („Wirtschaftswachstum“) ist es dann, was das System am Laufen hält.

Dieser Zusammenhang wird übrigens auch ganz klar, wenn wir auf das ursprüngliche Beispiel der Silberproduktion zurückkommen. Denn die wurde ja nicht ausgeweitet, weil das edle Metall aufgrund seiner stofflichen Beschaffenheit als Gebrauchsgegenstand so beliebt gewesen wäre. Silber wurde als allgemeines Zahlungsmittel benötigt, als Medium, um den im entstehen begriffenen allgemeinen Warenverkehr überhaupt erst ermöglichen zu können. Die Produktion von Silber steht gewissermaßen sinnbildlich für eine Gesellschaftsformation, die Produktion um der Produktion willen betreibt:

Potosí war die wichtigste Silberquelle in der Neuen Welt, und ds Silber aus den Kolonien machte 74 Prozent der weltweiten Silberproduktion aus. Silber treibt selbst keinen Handel, aber der globale Handel kann bis zu den Minen von Potosí zurückverfolgt werden. Solange es nicht Teil des Tauschkreislaufs ist, ist Silber lediglich Schmutz, der glänzt. Erst die Verschmelzung von Güterherstellung und Güteraustausch lässt daraus Kapital werden.

Jason W. Moore: Entwertung, S. 113

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