Hans Rosling
Immer noch beliebt: Das Aufklärungsbuch "Factfulness" von Hans Rosling & Familie. Hans Rosling, (c) Ullstein Verlag

Faktencheck: Hans Rosling

„Don’t worry about a thing,
Cause every little thing gonna be all right.
Singin‘: Don’t worry about a thing,
Cause every little thing gonna be all right!“
(Bob Marley)

Faktencheck mit Hans Rosling

Hans Roslings Factfulness ist ein Buch mit einer Botschaft: die Bedingungen in der kapitalistischen Spätmoderne werden besser und besser. Zwar haben viele Menschen noch abstruse Ideen über schier unüberwindbare gesellschaftliche Hierarchien im Kopf und glauben, globalen Trends gegenüberzustehen, die zielsicher dafür sorgen, dass die Dinge immer schlimmer werden. Tatsächlich spielen beiden Vorstellungen ja durchaus eine große Rolle, nicht zuletzt aus der Perspektive von kapitalismuskritischen Krisentheoretiker*innen. Gefragt, ob die Dinge in der Welt a) immer besser, b) immer schlechter oder c) gleichbleibend gut oder schlecht seien, antworten sie zielsicher mit b) – immer schlechter.

Das, so versichert und Hans Rosling, sei aber ein Trugschluss. Sicher gebe es Dinge, die sich verschlechterten. Aber in the long run, im Großen und Ganzen, entwickele sich die Sache doch in die richtige Richtung. Mit einem Satz: dass Versprechen des Liberalismus wirkt! Schritt für Schritt, wenn auch langsam und mit Mühen, werden die Verhältnisse immer ein bisschen besser. Für Sorge besteht also kein Grund und statt ständig zu meckern, sollten wir uns lieber hinten anstellen und mithelfen, dass die Dinge sich ein bisschen schneller zum Besseren wenden.

Doch nicht nur Kapitalismuskritiker*innen, ganz allgemein hänge ein Großteil der Menschheit dem falschen Glauben an, der Zustand der Welt würde sich beständig verschlechtern. Deshalb fühlten sich die Menschen dann immer gleich so gestresst. Demgegenüber empfiehlt er „Statistik als Therapie“. Auf diesem Wege könnten wir lernen, so verspricht der Großmeister, nicht immer nur das Schlechte zu sehen, sondern auch positive Entwicklungen zu bemerken und anzuerkennen. Es sei „das heimliche und stille Wunder des menschlichen Fortschritts“, dem die Welt eine stetige Verbesserung der Lebensverhältnisse zu verdanken habe.

Um zu demonstrieren, wie umfassend die Mängel in Bezug auf faktenbasiertes Wissen in allen Teilen der Bevölkerung ist, präsentiert er zunächst 13 Fragen, versehen mit Multiple-Choice-Antwortmöglichkeiten. Und siehe da – bis auf die Frage nach der zu erwartenden Entwicklung des Weltklimas beantwortet eine überwiegende Mehrzahl der Menschen die Fragen falsch. Der prozentuale Anteil der Mädchen, die weltweit eine Grundschule besuchen, steigt. Der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Rosling macht sich in seinem Buch daher auf, die Menschen mit den Hintergründen des ihnen fehlenden Faktenwissens vertraut zu machen.

Tatsächlich wählt Rosling die von ihm präsentierten Fakten jedoch sehr selektiv aus und präsentiert sie stets auf eine Weise, die seine bereits vorher feststehende Auffassung, im Gang der Geschichte werde alles stetig besser, unterstreicht.

Im Folgenden möchte ich anhand einiger Beispiele darstellen, wie Rosling die Fiktion eines sich stetig entwickelnden Fortschritts konstruiert. Dabei soll zugleich deutlich werden, welche Begrenzung die von ihm gewählte liberale Perspektive auf die Dynamik des globalen Kapitalismus mit sich bringt.

Rückgang der extremen Armut

Besonders gerne mag Rosling die Zahlen zur Armutsentwicklung. Hier kommt er zu dem Schluss, dass der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen im letzten Jahrhundert stetig abgenommen habe. In extremer Armut lebten Menschen mit einem Einkommen von weniger als zwei Dollar pro Tag.

Ein beispielhafter Blick auf ein imaginäres Dorf mag hier helfen, das grundsätzliche Problem hinter dieser Argumentation zu verstehen. In unserem imaginären Dorf leben 100 Menschen, die alle ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen haben. Allerdings betreiben die Menschen in dem Dorf Subsistenzproduktion, d. h. sie bauen die notwendigen Lebensmittel selbst an und stellen sie sich gegenseitig zur Verfügung. Der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen beträgt hier 100%, denn aufgrund mangelnder Geldökonomie liegt das Einkommen aller Menschen unter 2 Dollar pro Tag.

Nehmen wir nun weiterhin an, in unserem imaginären Dorf wird nun Geld als Tauschmittel eingeführt. Die tradierten Wege einer gemeinsamen Versorgung des Dorfes werden ausgehöhlt und schließlich können sich die ersten Menschen des Dorfes einen Fernseher leisten und vielleicht sogar in den Urlaub fahren. Dafür haben allerdings ein Viertel der Einwohner*innen ihre Wohnung verloren und ein weiteres Drittel wird nicht mehr regelmäßig satt. In der Armutsstatistik erscheint dieser Zusammenhang trotz allem als Wohlstandssteigerung. Denn immerhin gibt es nun beispielsweise 20 Menschen mit einem Einkommen von über zwei Dollar pro Tag.1

Das Beispiel macht deutlich, dass ein Versuch, die Entwicklung von Armut und Reichtum statistisch zu fassen, auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beachten muss. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier Geld als Austauschmedium unterstellt wird, ist erschreckend und insbesondere für viele Gesellschaften, die erst vor vergleichsweise kurzer Zeit von der kapitalistischen Modernisierung erfasst wurden, schlicht unzureichend. Sie sagt, vor dem Hintergrund einer möglicherweise existenten Subsistenzproduktion, recht wenig über den realen Lebensstandard der Menschen aus.

Dazu tritt das Problem, dass solche aus den offiziellen Statistiken entnommenen Zahlen sehr wenig über die realen Folgen der dahinterstehenden Entwicklungen für die Menschen vor Ort haben. Wenn das Durchschnittseinkommen einer Bevölkerungsgruppe etwa leicht von 1,9 auf 2,1 Dollar am Tag ansteigt, ist mit dem formalen Überschreiten der Armutsgrenze nicht viel über die realen Lebensverhältnisse ausgesagt. Auch darüber hinaus hat die Wahl der Grenze zur Kategorisierung von „absoluter Armut“ eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Oft bewirkt schon eine moderate Veränderung der Armutsgrenze eine signifikante Veränderung der Armutsbevölkerung.2

Von allen statistischen Haarspaltereien abgesehen bleibt aber am Ende des Tages die Frage, was denn mit dem Hinweis auf einen sinkenden Anteil von Menschen unterhalb der Armutsgrenze gewonnen ist in einer Welt, die trotz einer für alle Menschen ausreichenden Lebensmittelproduktion seit Jahrzehnten das Phänomen des Welthungers kennt.3

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