Hans Rosling
Immer noch beliebt: Das Aufklärungsbuch "Factfulness" von Hans Rosling & Familie. Hans Rosling, (c) Ullstein Verlag

Faktencheck: Hans Rosling

Weltmarkt und Welthunger

Dass im Jahr 2016 4,2 Millionen Kinder im Alter von unter einem Jahr gestorben sind, gilt Rosling als gute Nachricht. Nicht, weil er Kinder nicht mögen würde, sondern weil es von Jahr zu Jahr immer weniger Kinder würden, die sterben. Obschon noch immer viel zu tun sei, im Grunde fahre der Zug immerhin schon mal in die richtige Richtung. Auch hier klammert der Autor die zentrale Frage aus: wenn die Krankheiten (wie er selbst anmerkt) schon seit langer Zeit heilbar sind und auch die weltweit verfügbaren Nahrungsmittel zur Ernährung aller auf dem Planeten lebenden Menschen ausreichen würden (kämen sie nur bei ihnen an), dann stellt sich doch die Frage, auf welche raffinierte Weise es die kapitalistische Weltgesellschaft schafft, die notwendigen Ressourcenströme zielgerichtet so um die Menschen herumzulenken, dass im Globalen Süden kaum etwas davon ankommt.

Sicherlich: Dass 1950 die Todesrate der Kleinkinder mehr als ein zehnfaches größer war als heute, lässt auf eine Verbesserung schließen. Aber ein Schuh wird doch umgedreht daraus: Seit so vielen Jahren schafft es der Kapitalismus noch immer, Kindern die notwendigen Selbstverständlichkeiten vorzuenthalten. Pfui!

Vergleichen und optimieren

Am Beispiel seiner Erfahrungen in einem afrikanischen Krankenhaus thematisiert Rosling einen Themenbereich, dessen Implikationen auch für die aktuellen Diskussionen im Corona-Zeitalter fruchtbar sein können. In dem Krankenhaus war ihm nämlich aufgefallen, dass nur ein kleiner Teil der kranken Kinder der Region überhaupt den Weg ins Krankenhaus findet und er deutlich mehr Menschenleben retten könnte, wenn er sich um die Menschen außerhalb des Krankenhauses kümmerte. Nur hätte das zur Folge, die bereits im Krankenhaus aufgenommenen Kinder nicht mehr optimal betreuen zu können und möglicherweise ihrem Ableben Vorschub zu leisten.

In solchen Momenten müsse abgewogen werden, wie die knappen Ressourcen verwendet werden sollen. Auch wenn es weh täte, müsse hier gefragt werden: wie können wir den meisten Menschen helfen? Das sei zwar eine bittere Entscheidung, die allerdings alternativlos sei. Tatsächlich ist sie das zumindest vom Grundsatz her nicht. Denn Rosling klammert auch hier eine ganze Reihe von Fragen aus. Etwa die nach den Ursachen, wegen der die Kinder überhaupt krank werden. Wie hängen die Krankheiten mit der lokalen Ernährungssituation zusammen, wie ist diese wiederum in globale Wertschöpfungsketten eingebunden? Und warum existieren solche Zustände überhaupt?

Aber auch die Frage, warum es nur so wenige Ärzt*innen und nicht noch ein zweites oder ein drittes Krankenhaus gibt (obwohl die ja offensichtlich benötigt werden), spart er sorgsam aus. Gerade dadurch, dass die Situation als Notlage deklariert und auf das mit ihr verbundene menschliche Leid verwiesen wird, treten grundsätzliche Fragen nach Ursachen und Zusammenhängen derart in den Hintergrund, dass die Entscheidung zwischen zwei schlechten Handlungsoptionen tatsächlich als alternativlos erscheint.

Faktenbasiert die Welt retten

Der Autor und Humanist Philipp Möller, der lange Zeit auch für die Giordano-Bruno-Stiftung als Pressesprecher tätig war, kommt in seinem neuen Buch „Isch geh Bundestag: Wie ich meiner Tochter versprach, die Welt zu retten“ ebenfalls auf Rosling zu sprechen. Nachdem er seiner Tochter versprochen hatte, die Welt ob all der vielen Übel in ihr zu retten, ging er an den Ort, von dem er meinte, dort müssten solche Dinge entschieden werden: den deutschen Bundestag. Doch während seines Praktikums bei der FDP-Fraktion fiel ihm plötzlich auf, dass es um die Welt gar nicht so schlecht bestellt ist, wie so viele immer behaupten würden.

Als die Fraktion nämlich über einen Antrag zur Rettung der Artenvielfalt diskutiert, erfährt Möller, dass es um die gar nicht so schlimm bestellt sei. Das oft zitierte Bienensterben gebe es nämlich gar nicht, wie der zuständige Referent mit einem Hinweis auf den Imkerverband kundtut: heute gibt es in Deutschland nämlich mehr Bienenstöcke als vor fünf Jahren. Zumindest was die Honigbienen angeht. Dass das viel diskutierte Bienensterben hingegen die Wildbiene betrifft – davon lesen wir bei Möller nichts. Beim Glyphosath lässt er sich von der FDP-Fraktion erläutern, dass es für die Gefährlichkeit der Chemikalie gar keinen wissenschaftlichen Nachweis gebe. Und auch Atomenergie sei doch eine gute Idee, denn die hätten schließlich eine deutlich bessere Klimabilanz als die Kohlekraftwerke. Das, so erfahren wir, sei „evidenzbasiertes Argumentieren“.

Was dann bleibt, ist der Eindruck, dass die ganze Hysterie um die Umwelt und das Klima doch irgendwie übertrieben sind. Dementsprechend trat Möller nach der Veröffentlichung seines Buches gerne in Talkshows auf um der Fridays for Future-Bewegung religiöse Züge zu unterstellen, weil dort so ein unseriöses und düsteres Szenario in Bezug auf die Klimaveränderungen gezeichnet würde.

Anmerkungen:

1 Siehe hierzu auch den diesbezüglich erhellenden Comic „Der Finanzschlumpf“.

2 Drèze und Sen zeigen für Indien, dass eine Erhöhung der Armutsgrenze einen unterdruchschnittlichen Anstieg der Armut zur Folge hätte. Zur Armutsentwicklung in Indien vgl. umfassend Drèze, Jean/ Sen, Amartya (2014): Indien. Ein Land und seine Widersprüche., insbesondere die Kapitel 2 und 7

3 Zur Bedeutung von Hunger in zu vielen Teilen der Welt vgl. Caparrós, Martín (2015): Hunger

4 Zur Kritik der „instrumentellen Vernunft“ vgl Horkheimer, Max (1967): Zur Kritik der instrumentellen Vernunft.

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