Hans Rosling
Immer noch beliebt: Das Aufklärungsbuch "Factfulness" von Hans Rosling & Familie. Hans Rosling, (c) Ullstein Verlag

Faktencheck: Hans Rosling

Aussterbende Arten

Das Spitzmaulnashorn, der Panda und der Tiger gelten Rosling als weiterer Beweis dafür, dass es um die Welt bei Weitem nicht so schlecht bestellt ist wie uns der Naturschutzbund immer weismachen möchte. Alle drei Arten galten 1996 als gefährdet und vom Aussterben bedroht. Doch seitdem hat sich ihr Bestand deutlich erholt. Das zeigt, dass es möglich ist, negative Entwicklungen umzukehren. Nicht alle Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, müssen zwangsläufig aussterben. Menschen können daran etwas ändern. Im Falle der Nashörner, Tiger und Pandas waren das in erster Linie Schutzgebiete und deren Kontrolle. Es braucht also, mit anderen Worten, eine ausreichende Anzahl von Menschen, die über die notwendigen gesellschaftlichen Ressourcen verfügen, um die durch verändertes Naturmanagement vom Aussterben bedrohte Art zu retten.

Auch wenn die von Rosling vorgelegten Zahlen in diesem Fall korrekt sind, so verstört doch bei genauerem Hinsehen, dass die Zahl der insgesamt vom Aussterben bedrohten Arten von Jahr zu Jahr ansteigt. Trotz dieser im Einzelfall möglichen Stabilisierung von Populationen wirkt hier ganz offensichtlich ein gegenläufiger Trend. Das ist, angesichts der zunehmenden menschlichen Flächennutzung und der Ausdehnung kapitalistischer Produktionskapazitäten in immer neue Regionen auch kein Wunder. Darüber erfahren wir bei Rosling nichts. Er sagt auch nicht ausdrücklich, dass Artensterben kein Problem sei. Aber er wählt seine Beispiele so, dass bei den Leser*innen der Eindruck erweckt wird, dem sei so.

Wenn er dann doch einmal auf das zunehmende Artensterben hinweist, dann in einem genau entgegengesetzten Sinne: Dass die Zahl der auf der Roten Liste stehenden Tiere und Pflanzen stetig zunimmt, gilt ihm dann als Indiz dazu, dass Tiere und Pflanzen immer besser geschützt werden, weil die Zahl der Einträge auf diese Listen stetig zunimmt. Auf diese Weise ist es egal, wie es tatsächlich um die Realität bestellt ist: Am Ende sorgt die liberale Weltordnung dafür, das alles zum Besten gestellt ist.

Alles nicht so schlimm

Die vielfältigen ökologischen Gefährdungen, vor denen kritische Geister immer wieder warnen, sind dann laut Rosling ebenfalls nicht unbedingt ein Problem. So berge beispielsweise Atomenergie zwar Gefahren, diese würden in ihren Folgen aber für gewöhnlich weit übertrieben dargestellt. Als Beispiel dafür führt er die Reaktorkatastrophe von Fukushima an, in deren Folge niemand an den Folgen radioaktiver Strahlung gestorben sei, sehr viele allerdings bei dem Versuch, sich vor vermeintlichen Gefahr in Sicherheit zu bringen.

Als weiteres Beispiel nimmt der die Nutzung des Insektizids DDT. Auch die von dieser Chemikalie ausgehende Bedrohung werde weit übertrieben. Er resümiert: „Tausende von Menschen starben, weil sie vor einem nuklearen Leck flüchteten, das niemanden tötete. DDT ist tödlich, aber ich konnte auch keine Daten finden, die belegt hätten, dass es direkt jemanden getötet hätte.“ Tatsächlich habe die Weltgesundheitsorganisation WHO „DDT als leicht gesundheitsschädlich für den Menschen eingestuft“, darüber hinaus jedoch auch erklärt, dass DDT „in vielen Situationen mehr gesundheitliche Vorteile als Nachteile habe.“

Es müsse bei einer Anwendung des Pestizids, so Rosling, das „Für- und Wider in Betracht gezogen werden“, woraufhin er bezeichnendes Beispiel für die Nutzung von DDT anbringt: „In Flüchtlingslagern zum Beispiel, in denen es vor Mücken wimmelt, ist DDT häufig eine der schnellsten und billigsten Methoden um Leben zu retten.“ Lediglich „angstgesteuerte Lobbyisten“ lehnten es ab, hier eine faktenbasierte Lösung zu verfolgen, obschon die doch Leben retten könnte.

In solchen Fällen ist der Einsatz der Chemikalie tatsächlich auch erlaubt (um einer möglichen Verbreitung von Malaria vorzubeugen), doch das Beispiel ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil es die hinter Roslings faktenbasierter Argumentation stehende Logik offenbart. Er schlägt die Nutzung einer giftigen Chemikalie als Lösung für eine Situation vor, ohne sich im geringsten über die Entstehungsbedingungen und die Lösungsmöglichkeiten der Notsituation Rechenschaft abzulegen. Weder stellt er die Frage, warum Menschen sich überhaupt in großer Zahl in Flüchtlingslagern aufhalten, noch sucht er nach Möglichkeiten, sie möglichst schnell sicher an eine anderen Ort (etwa in Europa) unterzubringen. Denn weder Fluchtursachen noch die Frage der Verteilung globaler Flüchtlingsströme sind für ihn relevant.

Seine Argumentation bleibt vielmehr stets technisch und versucht die Beseitigung der Folgen einer Situation, die er als unabwendbar akzeptiert, wissenschaftlich rational zu bewerten. Alles andere wäre eine Frage gesellschaftlicher Rahmenbedingungen – und die akzeptiert Rosling grundsätzlich und immer uneingeschränkt. Dabei passt es sich ganz gut, dass die ethische Risiko-Bewertung es mit einem Sachverhalt zu tun hat, der weit weg in fernen Bereichen der Welt stattfindet. Vom Sessel in Schweden aus lässt sich vortrefflich darüber philosophieren, welche Menge chemischer Intoxikation für Menschen in Afrika als aushaltbar zu gelten haben.

Die hier gezogene Schlussfolgerung ist dabei keinesfalls willkürlich, sondern entspricht dem grundsätzlich vorgehen des politischen Liberalismus und des mit ihm verbundenen wissenschaftlichen Positivismus. Die viel gerühmte „Vernunft“ gilt in beiden Fällen als ein vortreffliches Argument zur Lösung von Problemen, die innerhalb des Kapitalismus auftauchen, die ohne ihn (und die mit ihm verbundene Form instrumenteller Vernunft) gar nicht gelöst werden müssten.4

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