Die Bücher des Historikers Yuval Noah Harari werden weltweit zu Bestsellern, denn Harari spricht viel über Transhumanismus und die Zukunft des Menschen. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema im „Philosophischen Radio“ des WDR zeigt jedoch, dass seine steilen Thesen merkwürdige Vorstellungen über Menschen und Gesellschaft enthalten.
Seit einiger Zeit wird in der Neurowissenschaft daran gearbeitet, das menschliche Gehirn mit einem Computer zu verbinden. Elon Musk hat vor Kurzem einen solchen Versuch an einem Schwein demonstriert. Ray Kurzweil, Leiter der Technischen Entwicklung bei Google, behauptet, man könne irgendwann Daten vom Gehirn in einen Computer einspeisen und dann wieder zurückfließen lassen.
Im Podcast des WDR setzt sich der Philosoph und Physiker Marco Wehr mit dem Buch „Homo Deus“ des bekannten Populärwissenschaftlers Yuval Noah Harari auseinander. Vor allem hat Wehr es in seiner Kritik auf einige steile Thesen von Harari abgesehen. Die zielen vor allem auf den Charakter der menschlichen Natur und die Übertragbarkeit des menschlichen Gehirns auf einen Computer und werden von Wehr einer kritischen Prüfung unterzogen.
Wehr bezweifelt beispielsweise, dass Elon Musks Projekt von Erfolg geprägt sein wird. Laut dem Physiker bleiben die Ergebnisse des Projekts „weit hinter den Erwartungen zurück“ und seien völlig unzureichend für die Ziele, die verfolgt würden. Außerdem wäre von der EU versucht worden, ein menschliches Gehirn nachzubauen. Das Projekt sei jedoch kläglich gescheitert und habe lediglich Unmengen an Forschungsgeldern verschwendet.
Schwer in ein binäres System übertragbar: Das Gehirn
Aber auch wenn in absehbarer Zeit Fortschritte auf diesem Gebiet zu verzeichnen wären, bezweifelt Wehr, dass die Menschen jemals Gehirn und Maschine adäquat verschmelzen könnten. Das zentrale Problem der Diskussion sei die Frage nach der Unmöglichkeit einer Gleichsetzung von Computer und Gehirn, von Berechenbarkeit und freiem Willen. Diese Verschmelzung wäre nicht machbar und überschätze die Möglichkeiten der Gehirnchips, das Problem werde von den betroffenen Personen jedoch ignoriert.
Das zeigt sich beispielsweise bei der sogenannten „Gedankenschnittstelle“, an der ein Computer die Gedanken des Gehirns ablesen und in Befehle im Computer umwandeln soll. Hier zeigt sich jedoch der Unterschied zwischen Gehirn und Computer. Denn, so Wehr, ein Gedanke lässt sich nicht in Computersprache übersetzen:
Bis zum heutigen Tage weiß ja überhaupt niemand, was ein Gedanke ist. (…) Diese Fantasien, die über dieses Thema entwickelt werden, die beruhen im Grunde genommen auf Annahmen, die in keinster Weise irgendwie verifiziert sind. Also weder weiß man, was ein Gedanke ist, noch weiß man, wie eine Erinnerung funktioniert. Man weiß auch nicht, wie das, Wo an welcher Stelle im Gehirn codiert ist. Da ist schon ziemlich viel Nebel und Rauch in der Luft.
Marco Wehr (Minute: 05:10 – 05:42)
Die Vorstellung, Lebewesen seien Maschinen, hat Tradition. Moderne Philosophen wie René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz oder Immanuel Kant hatten ähnliche Vorstellungen vom menschlichen Geist, der Natur oder der Gesellschaft. Sogar schon die alten Griechen, Pythagoras oder Platon wollten die Welt auf einfache Formen oder Zahlen zurückführen. Wehr nennt dies den „Berechenbarkeitsmythos“ oder auch „Kalkulationismus“, welchem auch heutzutage immer noch viele Mathematiker und Physiker anheimfallen, ohne es zu wissen.
Hier zeigt sich ein Phänomen, welches in den Naturwissenschaften leider sehr verbreitet ist. Die Naturwissenschaften tun die Philosophie oder die Gesellschaftswissenschaften als „Quasselfakultäten“ ab, welche nichts zur Verbesserung der Welt beizutragen hätten. Berühmte Populärwissenschaftler wie Sam Harris, Neil de Grasse Tyson oder Steven Pinker und eben auch Yuval Noah Harari können durch ihre Ignoranz stumpf positivistische Dogmen verbreiten und die Kritiken ignorieren, welche alle schon bis zum Abwinken in der Philosophie diskutiert wurden.
Aus genau diesen positivistischen Denktraditionen entstehen oftmals Allmachtsfantasien in Form einer „Weltformel auf dem Bierdeckel“, wie es Jürgen Wiebicke, der Moderator der WDR-Sendung, sehr schön formuliert.
Computeranimation des Alltags?
In der Sendung kommt die Frage auf, ob Menschen irgendwann sinnvolle Gespräche mit Computern führen können. Wehr bezweifelt das: Der Computer sei dem Menschen in Spielsituationen, also mit festgelegten Regeln, zwar überlegen, könne aber mit Handlungen, die wir für einfach und alltäglich halten, nicht umgehen. Dem Computer fehlt das spontane Element:
Also da, wo die Welten sehr umgrenzt und durch Spielregeln festgelegt sind, das ist sozusagen das „Habitat“, in dem sich so eine Maschine besonders wohlfühlt. Aber die Alltagswelt, die ganz, ganz viele Unwägbarkeiten hat, wo wir viel sozusagen mit unserer körperlichen Intelligenz arbeiten usw. usf., da haben die Computer extreme Schwierigkeiten – das ist sozusagen fast ein Erkenntnis-Paradoxon.
Marco Wehr (Min: 22:16 – 22:42)
Marco Wehr kritisiert nun an dem Buch von Harari, dass dieser die Behauptung aufstellt, Organismen, Gefühle, Menschen und menschliche Gesellschaften seien Algorithmen, also quasi die neuere Version des Maschinen-Mythos. Wehr meint, dass Harari diese Behauptung in seinem Buch 40-mal aufstellt, ohne diese Behauptung zu begründen oder auf eine Quelle zu verweisen.
Für Harari ist diese Prämisse jedoch keine Nebenbemerkung, sondern die grundlegende Annahme für seine weiteren Ausführungen. Im Anschluss, so Wehr, zeichne Harari dann ein Bild, in dem der Mensch eins mit der Datenmaschinerie wird. Für den Physiker ist diese „Argumentation“ völlig unseriös. Hier schließt sich der Kreis zum ersten Zitat, dass Gedanken nicht in Algorithmen umgerechnet werden können, denn „… es gibt kein einziges mathematisches Modell, das sozusagen der Komplexität eines Nervensystems in dieser Weise auch nur im Geringsten gerecht wird“ (Min: 27:50).
Wehr führt das Beispiel des Fadenwurms Caenorhabditis Elegans an. Der Wurm war Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen mit dem Ziel, seine Bewegungen vorauszusagen. Doch selbst bei dieser vergleichsweise geringen Komplexität konnte keine Voraussage gemacht werden.
Eine weitere Vorstellung der Transhumanist*innen ist es, den Traum, das Gehirn eines toten Menschen „auslesen“ zu können und in eine Computer-Datenbank einzuspeisen. Wehr hingegen geht davon aus, dass auch das nicht möglich sei, da das Gehirn nur dynamisch gedacht werden könne. Sobald es einmal zum Erliegen kommt, fehlten wichtige Informationen.
Der Physiker erklärt diesen Gedanken anhand eines sehr vereinfachten Beispiels: Nimmt man das Netz des deutschen Schienenverkehrs und hält es an, sei nicht klar, wo die Züge herkommen und wo sie hinfahren. Schaut man also nur in der Momentaufnahme drauf, fehlt ein großer Teil der relevanten Informationen:
Am Anfang steht letztendlich die Frage: „Ist das überhaupt möglich?“ Und da muss man skeptisch hinterfragen, ob diese Information, die man da abgreift, überhaupt maßgeblich ist für das Funktionieren eines Gehirns. Und da bin ich ziemlich sicher, dass diese Information absolut unzureichend ist. Weil was da ja sozusagen reingeladen wird – angeblich – in den Computer, das sind ja topologische Informationen, welcher Nerv verbindet welchen Nerv an welcher Stelle usw. usf.
Marco Wehr (Min: 41:40 – 42:10)
Es werden also statische Informationen abgegriffen, das Gehirn ist jedoch ein dynamisches System. Und genau an diese Dynamik kommt man nicht heran, indem man das tote Gehirn einfach ausliest.
Naiver Realismus
Die Auffassung, dass das Gehirn mit einem Computer gleichgesetzt werden könnte, zeigt recht eindrücklich, dass viele Naturwissenschaftler den Menschen nicht als ein soziales Wesen sehen. Stattdessen entdecken sie im Menschen wahlweise einen Haufen biologischer Kategorien oder mathematischer Zahlen und Formeln. Dass der Mensch aber mehr ist als die Summe seiner Teile zeigt sich hier sehr anschaulich. Woher kommt aber diese reduktionistische Auffassung über den Menschen?
In einem leider längst in Vergessenheit geratenen Buch des Sozialwissenschaftlers Bodo von Greiff von 1977 kritisiert dieser die wissenschaftliche Haltung als einen „naiven Realismus“, der sowohl in den Wissenschaften des kapitalistischen Westens als auch im realsozialistischen Osten praktiziert werde. Auch er wirft den Naturwissenschaftlern vor, die menschliche Erkenntnisfunktion auf eine scheinbar natürlich-physische zu reduzieren:
Weil der Erkenntnisprozess als natürlich erscheint, wird er zum Gegenstand der Physiologie. Und umgekehrt, erst als Gegenstand der Physiologie erscheint der Erkenntnisprozeß wahrhaft als Naturvorgang. Aber: was ist eigentlich natürlich daran, daß „der Mensch“ von sich selbst als einem bedürftigen Wesen abstrahieren und objektive Erkenntnisse produzieren kann? Handelt es sich bei dieser Abstraktionsfähigkeit wirklich um eine natürliche Begabung des homo sapiens? Ist es tatsächlich sinnvoll, die Bedingungen der objektiven Erkenntnis im Organismus „des Menschen“ zu suchen und nicht in der Gesellschaft, in der erlebt?
Bodo von Greiff: Gesellschaftsform und Erkenntnisform, S. 30.
Menschen als Maschinen
Die Gesellschaft als Schlüssel für das menschliche Denken? Wie geht das? In einer Untersuchung über die Idee der Lebewesen als Maschinen im Denken der Aufklärung zeigte Alex Sutter 1988 auf, wie die gesellschaftliche Entwicklung und ihr Kontext vom 17. bis 18. Jahrhundert das Denken der Philosophen und Wissenschaftler beeinflussten. Die Idee der Maschinenmetapher folgt bei ihm aus einem Machttypus, welcher sich in dieser Zeit entwickelte. Er spricht hier noch von Maschinen. Hier kann aber genauso gut auch von Computern geredet werden:
„Die Ideologie dieses Machttypus läßt sich and der Differenz zwischen dem praktisch-technischen Maschinenbegriff ablesen. Der Erstere meint eine von Menschen hergestellte materielle Struktur, durch welche »wilde« Naturkräfte in nützliche verwandelt werden, indem sie durch den schlauen Zwang der rationalen Organisation genötigt werden, sich von selbst zu domestizieren. Das naturalisierte Maschinenmodell hingegen gibt vor, die Naturkräfte seien immer schon domestiziert, da die naturgegebenen materiellen Strukturen allesamt maschinale seien. Maschinentechnik wäre von hier aus gesehen nur die höherstufige Fortsetzung der natürlichen Ordnung. Im Maschinenmodell steckt also ein normatives Ordnungsprojekt, das durch die Ontologisierung gleichzeitig verschleiert wird (sozusagen ein verkappter naturalistische Fehlschluß): Natur soll nur noch als domestizierte Ordnung vorkommen. Im Maße, wie diese Ideologie der Ordnungsmacht auf alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche übertragen wurde, zerstreute sich das Maschinenbild über die Felder ganz verschiedener Diskurse: Ökonomie, Politik, Medizin, Anthropologie, Pädagogik, Moral, Metaphysik, Theologie. Die Maschinenmethapher ist gleichsam die genügend abstrakte Schnittfläche, welche das gemeinsame ganz unterschiedlicher Zivilisierungsstrategien zu bezeichnen vermag: die Unterwerfung und Beherrschung innerer Wildheit durch Eingliederung in einen Zwangszusammenhang.
Alex Sutter: Göttliche Maschinen, S. 14 f.
Hier kommen wir also zu des Pudels Kern. Es zeigt sich, dass die Auffassung, Gehirne seien mit Computern gleichzusetzen, hochgradig ideologisch ist. Sie setzt gesellschaftlich produzierte Denkweisen mit der Natur des Menschen gleich. Das aber ist ein naturalistischer Fehlschluss. Die Behauptung ist somit auch nicht so „neutral“ und “objektiv, wie sie es vorgibt.
Dahinter steckt die Vorstellung, dass alle Menschen eigentlich nur abstrakt logische Wesen sind, welche keine individuellen Merkmale haben. Einerseits verleiht Harari seiner Befürchtung Ausdruck, eine bürokratisch-schematische Dystopie könne über die Menschheit hereinbrechen. Doch bereits in der Prämisse seiner Argumentation, die Menschen seien von Natur aus im Wesentlichen komplexe Computer, reproduziert Harari genau das, wovor er so große Angst hat. Die Befürchtung der völligen Ausrechenbarkeit äußert auch der Moderator der Sendung: „Wer will denn eigentlich, ausrechenbar sein?“.
Das ist eine berechtigte Frage. Niemand möchte das. Gleichzeitig sollte eben auch gefragt werden, ob da nicht ein Fünkchen Wahrheit schon Realität ist. Sind die Menschen nicht jetzt schon ausrechenbar? Strukturiert der Kapitalismus den Alltag eines jeden Individuums nicht schon in die tiefsten Handlungen? Jeder, der eine 5-Tage-Woche mit Vollzeitjob hat, fährt vermutlich jeden Tag um eine bestimmte Uhrzeit zur Arbeit, nimmt bspw. die Bahn um 7:54 Uhr und kommt zu einem relativ genauen Zeitraum wieder zurück, geht immer beim gleichen Supermarkt einkaufen etc. Das ist es ja, was allgemein als „Alltag“ bekannt ist.
Gegenfrage: Macht uns der Kapitalismus zur Maschine?
In diesem Sinne ist das Leben im Kapitalismus eben in sehr engen Bahnen geordnet, es ist dem algorithmischen Denken eng verwandt. Denn es abstrahiert vom Besonderen und Spontanen. Vielleicht sehen wir deshalb so gerne Filme wie die „Truman Show“ oder „Täglich grüßt das Murmeltier“, da hier Menschen aus ihrem Alltag, der meist ziemlich wahnsinnig ist, ausbrechen und spontan werden.
Meist kommt ihnen dann viel Gegenwind entgegen, da die Gesellschaft es nicht gewohnt ist, dass spontane Dinge passieren. Es soll bitte alles seinen gewohnten Gang gehen. Der Kapitalismus ist also neben all dem dynamischen Fortschrittsfetisch auch eine sehr „repetitive Gesellschaftsform“. Dieser könnte eine andere Form der Gesellschaft entgegengesetzt werden, in der Spontanität mehr Platz hat.
Gleichzeitig geistert in der Sendung eine weitere Frage herum: „Auf wieviel Persönlichkeit und Bewusstsein sind Menschen bereit zu verzichten, wenn sie dadurch ein mehr an Lustgewinn erhalten“ (Min: 39:35)? Auch hier stellt sich die Frage, ob sich nicht genau dieser Mechanismus bereits in unserem kapitalistischen Alltag bereits eingeschlichen hat. Sorgt der allumfassende Arbeitswahns nicht schon längst dafür, dass wir uns einschränken, um durch den erhofften späteren Konsum von Waren einen zusätzlichen Lustgewinn zu erhalten.
Wäre es dann nicht möglicherweise schlauer, diesen Lustkiller namens Arbeit abzuschaffen und dadurch sowohl Persönlichkeit als auch Lust durch Freizeit gleichzeitig zu gewinnen? Und das ganz ohne Wunderchip! Das Denken in mathematisch-naturwissenschaftlichen Begriffen wird dem menschlichen Leben nicht gerecht, und viele technische Innovationen könnten durch einen vernünftigen Aufbau der Gesellschaft ganz ohne Technikfetisch erreicht werden. Die Antworten sind schon längst da, sie müssen nur umgesetzt werden:
Der Automat ist sozusagen der Platzhalter des verschwundenen Lebens. Was einmal in der spektakulären Absicht geschaffen worden war Lebendiges mit mechanischen Mitteln zu imitieren, wird nun zum theoretischen Repräsentanten eines Lebens, das keines mehr sein soll
Alex Sutter: Göttliche Maschinen, S. 52.