Gesellschaftswissenschaftlich nicht ganz auf der Höhe - Harald Lesch YouTube

„Das verstehe ich nicht!“ – Harald Lesch und das Kapitalozän

Der wissenschaftliche Begriff des Kapitals

Aufgrund dieser ungenügenden Untersuchung, zurückzuführen auf das mangelnde „Werkzeug“ seiner Analyse, kann Lesch sich die Ökonomisierung der Hochschulen nicht erklären. Die ungeklärte Frage, was es mit der Welt auf sich hat, dass jeder dem Geld hinterherrennt, bleibt der rote Faden seines Vortrags:

„Wir machen das mit Ihnen in den Hochschulen und wir lassen Sie frei, um dann in eine Welt hineinzukommen, in der es vor allem um eines geht: Kohle. Also nicht Braunkohle oder Steinkohle, sondern Kohle, Kies, Moos, manche nennen es Geld usw. Was ist da passiert? (…) Denn hinter dieser Renditevorstellung, die wir alle mehr oder weniger verinnerlicht haben, also eine ökonomiebasierte Demokratie. So soll es ja sein, selbst unsere Kanzlerin hat das ja mal so gesagt: Wir brauchen eine wirtschaftsadäquate Demokratie. Was ich für ziemlich verheerend halte, wenn wir das wirklich komplett so durchziehen würden, aber vielleicht hat sie es ganz anders gemeint. Diese Art von Vorstellung basiert auf einem Naturbegriff, der einigermaßen irre ist. Nämlich, das merken wir schon im Deutschen, bei der Verwendung des Begriffes Umwelt. Würden sie diejenigen, mit denen sie zusammenleben, Um-Bewohner nennen? Ne, würden sie nicht, es sind ihre Mit-Bewohner. Stellen sie sich mal vor, wir hätten ein Mit-Weltministerium. Wir hätten also schon seit 30 oder 40 Jahren in Deutschland natürlich registriert, dass die Umwelt, also das was um uns herum ist, durch unsere Veränderung sich ebenfalls verändert, was natürlich Konsequenzen haben wird.“

Min. 11:09 – 12:43

Seine Verwunderung über die Ökonomisierung der „Welt da draußen“ und die Aussagen der Kanzlerin zeigen, dass Lesch davon Demokratie und Wirtschaft als zwei getrennte und voneinander unabhängige gesellschaftliche Bereiche versteht. Zumindest wünscht er sich das. Die Vorstellung einer völligen Autonomie der Menschen wird hier auf höherer Stufenleiter mit dem Primat der Demokratie vor der Wirtschaft wiederholt. Die kapitalistische Wirtschaft funktioniert jedoch nur durch Wachstum, und der demokratische Politikbetrieb ist abhängig von den Einnahmen der Wirtschaft. Die Naivität dieser Analyse zeigt sich in dem Vorschlag, dem Kapital mit einem einfachen sprachlichen Taschenspielertrick zu entkommen, indem ein Ministerium einfach umbenannt werden soll: Vom Umweltministerium zum „Mitweltministerium“.

Lesch führt bald den Begriff des „Anthropozän“ ein, und dass wir mit der Industriellen Revolution in ein neues Zeitalter gekommen sind, in dem die Menschen die Natur massiv beeinflussen. Interessanterweise schlägt Lesch gleich darauf vor, doch lieber vom Kapitalozän zu sprechen: „Das ist das Erdzeitalter des Geldes. Das ist die Art und Weise, wie wir etwas bewerten.“ Wirklich erklärt wird der Begriff und sein Ursprung aber nicht. Merkwürdigerweise wäre genau hier der Zeitpunkt sich als Wissenschaftler mal mit dem Begriff und seiner Geschichte genauer auseinanderzusetzen. Für den berühmten Theoretiker Karl Marx, dem der Begriff „Kapital“ große Bekanntheit verdankt, ist das Kapital mehr als einfach nur Geld.

Es ist vielmehr der selbstbezügliche Kreislauf, aus Geld mehr Geld zu machen. Dazu müssen immer mehr Waren produziert und zu diesem Zweck immer mehr menschliche Arbeit in den Prozess der Kapitalverwertung einsaugt werden. Diese Arbeit, die dafür benötigt wird, nennt Marx „Wert“ und das Kapital ist für ihn nichts anderes als der Prozess der Wertverwertung, d.h. der selbstzweckhaften Vermehrung von „Wert“. Oder in anderen Worten: Aus Geld mehr Geld zu machen. Doch nur menschliche Arbeit kann Wert schaffen. Dieser ewige Kreislauf führt zum maßlosen Abbau von Ressourcen und der Zerstörung der Natur. Die Folgen dieses Prozesses können wir derzeit anhand des Klimawandels bewundern.

Was Lesch somit auf der Oberfläche erkennt, hat tieferliegende Gründe, die es erst zu ergründen gilt, möchte man eine wissenschaftlich-theoretische Erklärung für die Profitgier der Menschen haben. Diese Selbstzweckbewegung, das „automatische Subjekt“ wie Marx es nennt, zerstört jedoch nicht nur die Natur. Damit nicht genug unterwirft es unser gesamtes Leben dem ökonomischen Paradigma des Wachstums. Dafür muss möglichst viel ökonomisiert werden, was auch unserem Naturwissenschaftler auffällt:

„Das heißt, wir haben zum Beispiel in unserem Land Gebiete ökonomisiert, die wir niemals hätten ökonomisieren dürfen, unter anderem übrigens auch die Universitäten. Also der Begriff Wettbewerb ist bei der Suche nach Wahrheit zum Beispiel schwer zu verstehen. Also bei der Suche nach Wahrheit ist es ja keine Bundesliga-Saison, wo jemand am Ende des Jahres sagt: „Hier! Ich bin der Wahrheit am nahesten gekommen“. Im Gegenteil: Der ganze Forschungsprozess an Universitäten ist ja ein immerwährender, ein andauernder. Und gute Forschung zeichnet sich dadurch aus, dass eine gelöste Frage im Zweifel zwei neue Fragen aufmacht. Das heißt, es ist ein Prozess, der eigentlich nie zu Ende ist.“

Minute 14:00 – 14:54

So richtig die Erkenntnis ist, dass im Kapitalismus alles ökonomisch bewertet wird, so falsch und romantisch ist die Auffassung, früher sei das nicht so gewesen. Es ist eine typische Romantik nach den guten alten 50er und 60er Jahren, die auch Sarah Wagenknecht befallen hat und in der Linken nicht untypisch ist.

Leschs Forderungen für eine „nachhaltige Gesellschaft“ bleiben dann auch recht vage. Es solle einfach mehr in die erneuerbaren Energien investiert werden und das exponentielle Wachstum gestoppt werden. Außerdem zählt Lesch diverse staatliche Regularien auf. So könnte für jede Person ein CO2 Limit pro Jahr gesetzt werden, das nicht überschritten werden darf oder der CO2-Ausstoß wird in die jeweiligen Produkte eingepreist. Die Gesellschaft müsse das nur wollen. Diese Forderungen bleiben jedoch, ohne Rücksichtnahme auf den gesellschaftlichen Kontext, eine hohle Forderung, ein frommer Wunsch.

Dazu kommt, dass er unterstellt, innerhalb einer vom Kapital (als menschengemachte, aber gegenüber dem Menschen verselbständigten Dynamik) dominierten Gesellschaft seien Regulierungen der Produktion in einem sehr weitreichenden Maße tatsächlich umsetzbar. Wenn die Menschen nur genug guten Willen aufbrächten, sei das schon zu machen.

Leschs berechtigte Forderung nach mehr Humanismus wird jedoch radikal von der gesellschaftlichen Realität konterkariert. Im Kapitalismus geht es eben nicht um die Menschen, sondern um Profit. Möchte man eine Gesellschaft, die für die Menschen gemacht ist (wie sie im Humanismus postuliert wird), muss die gesellschaftliche Beziehung über den abstrakten Reichtum, die (abstrakte) menschliche Arbeit, überwunden werden. Da unsere Gesellschaft aber genau darauf basiert, wird das im Kapitalismus nicht funktionieren, sondern nur durch seine Überwindung. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der die Menschen sich über die sinnliche (oder auch stoffliche) Dimension des gesellschaftlichen Reichtums Gedanken machen und nicht über eine abstrakte Zahl, wie beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt.

Dabei ist Lesch zugute zu halten, dass er durchaus nachvollziehbare Vorstellungen präsentiert. Er kann auf einer technischen Ebene zeigen, dass bestimmte Technologien so eng mit dem Kapitalozän verbandelt sind, dass sie als Lösung für eine befreite Gesellschaft nicht taugen. Das gilt vor allem für seine Kritik am Elektroauto, aber auch für seine Kritik an der Atomenergie.

Etwa wenn er die Auffassung kritisiert, Elektroautos seien eine sinnvolle Alternative zum Verbrennungsmotor. Lesch möchte stattdessen weg vom Individualverkehr und fordert einen flächendeckenden und günstigen öffentlichen Nahverkehr. Außerdem wehrt er sich vehement gegen eine These aus dem Publikum, nach der das Bevölkerungswachstum, also die ehemaligen Kolonien, schuld am Klimawandel seien. Der Ressourcenverbrauch der westlichen Industrieländer ist nämlich laut Lesch deutlich höher als der in der restlichen Welt. Eine Kritik an der Überbevölkerungsdebatte ganz in diesem Sinne findet sich übrigens bei Tomasz Konicz in seinem Buch „Klimakiller Kapital“ sowie in dem Text von Julian Bierwirth in dem Sammelband „Shutdown“ zur Klimakrise.

Die Ignoranz gegenüber der gesellschaftlichen Ebene kritisierte Karl Marx mit dem Begriff des „Fetischismus“. Wird diese Beziehung nicht wahrgenommen, erscheint es so, als könne lediglich das Handeln der Menschen die Wogen glätten, vor allem das der Firmenchefs und Politiker. Harald Lesch könnte sich von seinem großen Idol, dem bekannten Idealisten Immanuel Kant, inspirieren lassen und den Weg aus „der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ gehen, indem er sich mit Gesellschaftswissenschaft, der Moderne und ihren ganzen Unannehmlichkeiten beschäftigen würde. Daher möchten wir zum Abschluss noch einmal zwei Bücher als weiterführende Lektüre ans Herz legen. Es wäre ein Anfang sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Buchempfehlung: Shutdown!

Klima, Corona und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus

Ernst Lohoff, Norbert Trenkle (Hg.)
„Es ist kein Luxus, gerade jetzt die emanzipative Aufhebung der kapitalistischen Reichtumsproduktion anzustreben, sondern der einzige Ausweg aus der Spirale ökologischer Zerstörung, sozialer Exklusion und autoritärer Formierung der Gesellschaft.‟

Klimakiller Kapital

Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört

Tomasz Konicz
Das Kapital ist einerseits die Ursache der Klimakrise, es verstärkt aber auch die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels. Der zu einer naturartigen Selbstverständlichkeit geronnene, von inneren Widersprüchen getriebene Kapitalismus muss radikal infrage gestellt werden.


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